Wildeshausen - Bei der Frage nach Stummfilmklassikern denken Cineasten an Friedrich Wilhelm Murnaus meisterhaften Leinwand-Albtraum „Nosferatu“ oder an Méliès 1902 gedrehte „Reise zum Mond“, den ersten Science-Fiction-Film der Kinogeschichte. Vor allem aber kommen den Kennern die Slapstick-Klassiker von „Stan & Olli“ und Charlie Chaplin in den Sinn. Sind diese noch mit der entsprechenden Klaviermusik unterlegt, entsteht ein besonderes Kinoerlebnis.
Tollpatsch im Einsatz
Der Konzertpianist Johannes Cernota will dieses Genre neu beleben. Im Wildeshauser „Lili-Servicekino“ begleitet der 63-Jährige aus Sandkrug am Sonntag drei, je 20-minütige Stummfilme am E-Piano. „Am liebsten hätte ich ein altes, verstimmtes Klavier gehabt“, sagt Cernota. Der Transport wäre allerdings zu kompliziert gewesen. Die Stimmung der 1920er Jahre trifft Cernota aber exakt – sowohl was die Tonlage als auch das Tempo betrifft.
Der erste Film, „Their purple moment“ (zu Deutsch: „Ihr lila Moment“), zeigt das tollpatschige Duo Stan Laurel und Oliver Hardy. In der Komödie aus dem Jahr 1928 versuchen die beiden zwei Frauen auszuführen. Doch im Restaurant können sie die Rechnung nicht begleichen, weil Stans Frau zuvor das Geld im Portemonnaie gegen Coupons getauscht hat. Cernota bewährt sich als Meister der Improvisation. Als Stan seine Frau als „Bluthund“ bezeichnet, spielt der Pianist Marlene Dietrichs „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“. Wenn die Komiker aus dem Restaurant fliehen wollen oder die Tortenschlacht ihren Höhepunkt erreicht, fliegen die Finger nur so über die Klaviertasten. An anderer Stelle zitiert er den 1928 komponierten Schlager „Oh, Donna Klara“. Auch Jazz und alte Volkslieder sind sein Metier.
Die gut 40 Besucher an diesem Sonntag im Wildeshauser Kino lachen nicht nur über das Desaster, das Stan & Olli in dem Restaurant anrichten. Sie genießen auch die Atmosphäre, die Cernota in den abgedunkelten Saal zaubert. Zu sehen sind auch der Streifen „One Week“ (1920) mit dem fabelhaften Starkomiker Buster Keaton und „Der Abenteurer“ (1917) mit Charlie Chaplin in der Hauptrolle.
Freund von Fantasy
„Nach wie vor werden Stummfilme gedreht“, weiß Cernota. Mitgebracht hat er daher auch einen dreiminütigen Trickfilm, der an der Filmakademie Baden-Württemberg entstanden ist. In Zeiten von 3D und Dolby-Surround eine wohltuende Alternative, die noch ein Stück Handwerk erahnen lässt.
Zum dritten Mal ist Cernota zu einem Stummfilmkonzert ins Wildeshauser Kino gekommen. Regelmäßig spielt er im Oldenburger Brauhaus, aber auch mindestens fünfmal pro Jahr in einem alten Lichtspielhaus auf Spiekeroog. „Es ist einfach toll, wenn die Besucher erst Dick und Doof sehen und anschließend ,Frau Müller muss weg’“, erzählt er. Das Publikum auf der Insel, Jung wie Alt, gehe begeistert mit.
Selbst lässt sich Cernota eher selten in den rot gepolsterten Kinosessel fallen. Für Fantasy-Filme à la „Herr der Ringe“ könne er sich dann schon begeistern, so der Pianist. Das verwundert kaum: Cernota, in Visbek geboren, hat die „Osenzwerge“, ein Zwergenvolk aus den bewaldeten Dünen an der Hunte bei Sandkrug, zu neuem Leben erweckt. In mehreren Büchern erzählt er Geschichten über die ausgebufften Wesen. Die Figuren stehen für Scheitern und Gelingen – wie bei Stan & Olli. Eine dieser Sagen rankt sich um die „Schlacht von Colnrade“, wo die Zwerge die Hunteriesen überrumpelt haben. Die Verlierer haben ihre Ruhestätte auf dem Pestruper Gräberfeld gefunden, erzählt Cernota mit verschmitztem Lächeln im Gesicht. Dieser Stoff wartet längst darauf, verfilmt und natürlich mit Klavierbegleitung aufgeführt zu werden.