Im Unterschied zu den Vorjahren hat der Milchpreis im vergangenen Jahr für die Milchviehbetriebe auskömmlich zugelegt. Die Erlöse sind deutlich besser geworden, obwohl gleichzeitig Energie-, Düngemittel-, Futter- und Kraftstoffkosten stark gestiegen sind. Im Interview erklärt Hendrik Lübben, Vorsitzender des Milchausschusses des Kreislandvolkverbandes Wesermarsch, was das für die landwirtschaftlichen Betriebe bedeutet.

Herr Lübben, haben die Landwirte im vergangenen Jahr unterm Strich stärker profitiert als in den Vorjahren?

Hendrik Lübben2022 war für die Milchbauern in der Wesermarsch ein außergewöhnliches Jahr. In der ersten Hälfte bestand eine große Unsicherheit aufgrund des Ukraine-Krieges. Der Handel erwartete eine Verknappung der Waren und große Lieferschwierigkeiten. Dies ist dann nur zum Teil eingetreten, ermöglichte aber unseren Molkereien im weiteren Jahresverlauf, ihre Produkte zu guten Preisen zu vermarkten. Dies hat eine sehr positive Entwicklung bei den Milchauszahlungspreisen ausgelöst. Dadurch konnten die Milchbauern in der Wesermarsch im Schnitt des Jahres kostendeckend wirtschaften.

Zur Person

Hendrik Lübben ist seit einigen Jahren Vorsitzender des Milchausschusses des Kreislandvolkverbandes Wesermarsch und stellvertretender Vorsitzender des Verbandes.

Der 41 Jahre alte Landwirtschaftsmeister bewirtschaftet in Langenriep bei Abbehausen in fünfter Generation einen Milchviehbetrieb mit zurzeit 180 Kühen plus Nachzucht. Der Grünlandbetrieb umfasst 150 Hektar. Hendrik Lübben ist verheiratet und Vater von drei Kindern.

Wie schätzen Sie die Entwicklungen der nächsten Monate und Jahre ein? Wird die gute Nachfrage auf dem Weltmarkt anhalten oder müssen die Milchbauern in Deutschland Einbrüche einkalkulieren?

Hendrik LübbenDer Milchmarkt wird in der nächsten Zeit wieder zu der gewohnt schwankenden Entwicklung zurückkehren. Die Nachfrage nach hochwertigen Milchprodukten aber bleibt in Europa und der Welt gut.

Droht eine Katastrophe, wenn die gestiegene Nachfrage stark einbricht, während Betriebskosten-Steigerungen bleiben oder sich sogar verschärfen?

Hendrik LübbenIch würde in dem Zusammenhang nicht von Katastrophe sprechen. Jeder Unternehmer muss sich nun mal auf schwankende Marktbedingungen einstellen. Aktuell normalisiert sich der Markt nach dem Kriegsschock im letzten Jahr. Zu einer extremen Entwicklung mit stark steigenden oder fallenden Preisen wird es Stand heute nicht kommen.

Wie abhängig sind Milchviehbetriebe von Getreide-Lieferungen aus der Ukraine als Kraftfutter für die Kühe?

Hendrik LübbenDie Futterversorgung der Milchkühe in der Wesermarsch wird zum größten Teil mit regionalen Futtermitteln sichergestellt. Selbst erzeugtes Grundfutter wie Gras und Maissilage wird durch Getreidemischungen ergänzt, die ihren Ursprung hauptsächlich in Deutschland haben. Der Ausbruch des Ukraine-Kriegs hat weltweit zu Marktverwerfungen und Spekulationsgeschäften geführt, die dann auch Einfluss auf die Preise für die bei uns benötigten Futtermittel hatten.

Hat sich nur der Milchpreis deutlich verbessert oder gab es auch erfreuliche Entwicklungen in Sachen Wetter-Unbilden, Mäuseplage und Politik?

Hendrik LübbenDie Mäuseplage hat sich durch den sehr nassen Winter 2020/2021 zum Glück von selbst erledigt. Das Wetter war in den vergangenen zwei Jahren auch eher auf unserer Seite, wir haben in der Wesermarsch nicht so stark unter Trockenheit gelitten wie der Rest von Deutschland. Politisch gibt es weiterhin viele kleine gesetzliche „Nadelstiche“, die für sich genommen nicht so gravierend sind, aber die Betriebe in der Summe doch richtig viel Geld kosten, was wir nicht an die Molkereien beziehungsweise die Verbraucher weiterreichen können. In puncto Tierwohl sind die Landwirte in der Wesermarsch aber tendenziell schon ganz gut aufgestellt.

Die Milchpreiskrise hatte im Jahr 2014 begonnen. 2015 kam das Ende der Milchquote in der Europäischen Union hinzu. In den Jahren 2014 bis 2018 haben etwa 90 Höfe der bis dahin 520 in der Wesermarsch aufgegeben. Sind solche über den normalen Strukturwandel hinausgehenden Einbrüche künftig eher unwahrscheinlich oder könnte es für viele Betriebe heißen: „Noch mehr als bisher schon wachsen – oder weichen“?

Hendrik LübbenSollte der Milchpreis wieder sinken, wird der Druck auf die Betriebe in Richtung mehr Effizienz und größere Strukturen sicher wieder zunehmen. Was uns im Moment aber am meisten umtreibt, ist die Diskussion um den Moorschutz. Ein Drittel der landwirtschaftlichen Fläche in der Wesermarsch liegt im Moor. Bei der notwendigen Entwässerung der Böden zersetzt sich der Torf und es entweicht CO2. Die aktuelle Bundesregierung stuft die aktuelle Nutzung als Futterflächen für Milchkühe als „nicht nachhaltig“ ein und möchte die Flächen wiedervernässen. Wir fragen uns, ob diese Flächen künftig überhaupt noch genutzt werden können und woher eine vergleichbare Wertschöpfung kommen soll – mal ganz abgesehen davon, ob in der Wesermarsch überhaupt so großflächig vernässt werden kann, ohne dass ganze Dörfer umgesiedelt werden müssten. Das sorgt im Moment für eine ganz große Unsicherheit bei den Milchbauern.