Oldenburg - Bürgerlich heißt sie Clara Eleonore, aber was ist schon bürgerlich an dieser Frau, die am 21. Januar 1901 in Mühlheim an der Ruhr zur Welt kommt? Ihre Familie nennt sie bald nur noch Clärenore. Die Tochter des Großindustriellen Hugo Stinnes interessiert sich für Autos statt Puppen, lernt Marken und Motortypen auswendig. Später wird sie statt Mädchenkleidern Hose, Hemd und Krawatte tragen und Kette rauchen.
Der Vater unterweist sie in Unternehmensdingen, doch als er 1924 stirbt, besteht Clärenores Mutter darauf, dass sich die Tochter aus der Firma zurückzieht und standesgemäß heiratet. Sie pfeift auf die Konventionen, zieht nach Berlin und fährt Autorennen – natürlich gegen Männer. Mit Bleifuß und Wagemut gewinnt Clärenore Stinnes 17 Rennen bis 1927. Zeitungen nennen sie „Europas erfolgreichste Autofahrerin“.
Prompt setzt sie sich ein tollkühneres Ziel: Als erster Mensch will sie die Erde umfahren. Von den Frankfurter Adlerwerken bekommt sie den Personenwagen Adler Standard 6 mit Dreiganggetriebe und 50 PS geschenkt. Stinnes lässt Liegesitze installieren, damit sie im Auto übernachten kann.
Weil ihre Familie die Fahrt nicht unterstützt, nutzt Stinnes ihre Bekanntheit als Rennfahrerin. Sie sammelt Sponsorengelder von Bosch, Continental und dem Vorgängerunternehmen von Aral, insgesamt 100.000 Reichsmark. Als Team heuert sie zwei Mechaniker der Adlerwerke und den schwedischen Kameramann Carl-Axel Söderström an, der die Expedition filmen soll.
Zwei Jahre ist sie unterwegs. Es geht durch China und über die Anden
Am 25. Mai 1927 beginnt die Fahrt in Frankfurt. Ostwärts durch den Balkan, über den Kaukasus nach Moskau, durch die Mongolei nach China und weiter nach Japan. Per Schiff nach Südamerika, durch Peru nach Argentinien, über Chile gen Norden, per Schiff nach Nordamerika. Von Los Angeles zu einem Abstecher nach Kanada, dann quer durch die USA an die Ostküste und wieder nach Europa.
Oft gibt es nicht einmal Straßen, die Bedingungen setzen dem Auto zu, ständig fallen Reparaturen an. Hinzu kommen Sandstürme, Schlamm, wilde Tiere. Die Mechaniker geben auf, ein Übersetzer springt ab. Bald sind nur Clärenore Stinnes und der Kameramann Söderström übrig.
Auf dem Baikalsee knackt das Eis unter ihnen, Stinnes gibt Vollgas. In China liefern sie sich eine Verfolgungsjagd mit Räubern. In den Anden brauchen sie Dynamit, um Strecken befahrbar zu machen. Der Tiefpunkt: Per Flaschenzug müssen sie das Auto die Steigungen in den Anden hinaufhieven. Die Vorräte gehen aus, sie trinken Wasser aus dem Kühler.
Orientierungslos stolpern sie in ein Andendorf. Nach kurzer Erholung wird der Wagen abgeschleppt, die Fahrt geht weiter. In den USA führt sie Autobauer Henry Ford durch sein Werk, US-Präsident Herbert Hoover lädt sie ins Weiße Haus ein.
Am 24. Juni 1929 sind Clärenore Stinnes und Carl-Axel Söderström wieder in Berlin – beinahe 47.000 Kilometer haben sie mit dem Auto zurückgelegt. Die beiden sind mehr als eine Fahrgemeinschaft: Sie heiraten im Dezember 1930. Nach ihrer Expedition hat Stinnes genug vom Abenteuer. Mit ihrem Mann bewirtschaftet sie einen Gutshof in Schweden, stirbt dort am 7. September 1990.