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Häusliche Gewalt im Nordwesten Der lange Weg in ein Leben ohne Angst

Ellen Kranz

Im Nordwesten - „Mir geht es heute sehr gut“, sagt Anja, 42 Jahre, und lächelt. Die Betonung des Satzes liegt auf der Gegenwart. Anja hat eine „schwere Zeit“ hinter sich, wie sie selbst sagt. Eine Zeit, die nur an der Oberfläche idyllisch wirkte. Hinter der Fassade erlebte sie häusliche Gewalt. Nun möchte sie mit ihrer Geschichte Mut machen: „Es ist nie zu spät, wegzulaufen.“

Der Beginn

Bereits mit damals 16 Jahren lernt Anja Sven* kennen, fünf Jahre später heiraten sie. Mit Mitte 20 zieht das Paar aus seinem Heimatort in eine nahe gelegene Stadt, baut dort ein Haus, bekommt zwei Kinder. Dann beginnen die Schwierigkeiten.

Sven verliert seine Arbeit, macht sich selbstständig, scheitert. Rechnungen werden nicht mehr bezahlt. Sven trinkt, landet schnell bei einer ganzen Kiste Bier, die in zwei Tagen leergetrunken ist.

Die Eskalation

Das Bild der perfekten Familie, lange hält Anja daran fest. Will nicht wahrhaben, in was für einer Beziehung sie lebt, wie viel Angst sie hat. Vor ihrem Mann, der sie kontrolliert, zwanghaft. „Da war ein Schamgefühl“, sagt Anja. „Ich habe als Vorbild immer meine Eltern, die beiden sind seit 44 Jahren verheiratet.“ Glücklich.

Ein guter Freund rät ihr, sie solle die Beziehung beenden, sie gehe dort kaputt. „Mama, wir müssen mal von Papa Urlaub machen“, erinnert sie sich an einen Satz ihrer Tochter. Ihr Sohn habe gemeinsam mit ihr geweint. Tränen fließen bei diesen Gedanken.

Die Situation eskaliert. Anja übernachtet derweil bei ihrer Tochter. „Sven hat uns nachts aufgeweckt, betrunken.“ Es kommt zu Reibereien. Anja muss sich wehren – in diesem Augenblick steht für sie fest: „Jetzt reicht’s!“


Das Frauenhaus

Lange hat sie diesen Moment vorbereitet, wichtige Dokumente beiseite gelegt. „Ich gehe“, sagt sie am Morgen nach dem Vorfall zu Sven, nimmt die Papiere und ihre Kinder mit und fährt in eine nahe gelegene Stadt zu einer Beratungsstelle, die ein Frauenhaus betreibt. Sie zieht ein, gemeinsam mit ihren Kindern.

Hier finden Frauen Beratung und Hilfe

In Niedersachsen gibt es nach Angaben des Landesministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung insgesamt 43 Frauenhäuser, 46 Gewaltberatungsstellen und drei Mädchenhäuser.

24 dieser Frauenhäuser und Beratungsstellen sind im Nordwesten zu finden. So gibt es Einrichtungen in Aurich (4), Bad Zwischenahn (1), Brake (1), Cloppenburg (2), Delmenhorst (2), Emden (2), Leer (2), Oldenburg (4), Vechta (1), Wildeshausen (3) und Wilhelmshaven (2). Diese werden von Trägern wie etwa dem Roten Kreuz oder dem Sozialverband katholischer Frauen geleitet. Hilfe gibt es bundesweit auch unter Tel. 08000/116 016.

Doch Sven findet sie. Die Alarmglocken der Betreuer läuten, aber Anja will nicht in eine weit entfernt liegende Stadt ziehen, wie es ihr geraten wird. „Ich wollte bleiben – meine Kinder gehen hier zur Schule, haben ihre Freunde.“ Vors Haus geht sie trotzdem nur noch in Begleitung.

Der Neuanfang

Nach drei Monaten zieht Anja mit ihren Kindern zurück in ihren alten Ort. Wieder findet Sven sie. Als er eines Nachts vor ihrer Tür steht, erreicht sie vor Gericht eine Bannmeile. Sven wartet auf der Straße. „Der Druck blieb.“

Eine Zeit lang sind die Kinder jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater. Die Scheidung läuft, Sven hat eine neue Freundin. Doch eines Nachts eskaliert die Situation erneut. Die neue Freundin ruft bei Anja an, sagt ihr, sie solle die Kinder abholen. Das ist fünf Jahre her. „Seitdem hatten sie keinen Kontakt mehr“, sagt Anja. Und langsam, ganz langsam zieht Sven sich zurück.

Seit zwei Jahren hat Anja einen neuen Lebensgefährten – er ist der gute Freund, der ihr vor Jahren beistand. „Wir sind eine Bilderbuchfamilie – unser Leben ist so, wie ich es immer wollte“, sagt Anja und ergänzt: „Natürlich streiten wir manchmal, aber das ist normal.“

*Name von der Redaktion geändert

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