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90 Jahre Kfz-Steuer Als der Autofahrer zum Zahlmeister wurde

Hans Begerow

Berlin/Oldenburg - Vor 90 Jahren hatte der Reichstag ein neues Gesetz erlassen, das Kraftfahrzeugsteuergesetz, das am 1. April 1928 in Kraft trat und über viele Jahrzehnte Gültigkeit hatte. Es löste die seit 1906 geltenden Regeln zur Kraftfahrzeugbesteuerung ab, die man als Luxusbesteuerung bezeichnen kann.

Besteuert wurden ab 1906 (in einigen Landesteilen auch schon ab 1899) Personenwagen, gewerbsmäßig genutzte Fahrzeuge nicht. Autobesitzer mussten bei Autos mit einer Leistung von 6 bis 10 PS (sogenannte Steuer-PS, nicht die tatsächliche Motorleistung) zwischen 25 und 50 Mark Steuern zahlen (Stempelsteuer). Nach dem 1. Weltkrieg wurde die Kraftfahrzeugsteuer noch einmal reformiert. Ab 1922 wurden alle Fahrzeuge zur Beförderung von Personen und Gütern mit Steuer belegt. Ein Auto mit 6 Steuer-PS kostete 100 Mark, bis 10 PS 200 Mark und bis 12 PS 300 Mark.

Steuer-PS

Der Begriff Steuer-PS muss kurz erläutert werden. Maßgeblich für die Besteuerung waren Zylinderzahl, Zylinderbohrung und Kolbenhub. Vereinfacht gesagt, galten 281 Kubikzentimeter Hubraum als ein Steuer-PS bei Viertaktmotoren und 175,5 Kubikzentimeter als ein Steuer-PS bei Zweitaktern. Ein 4 PS-Wagen gehörte also zur Einliterklasse, ein 8-PS-Wagen zur Zweiliterklasse. Ein Beispiel ist der in Varel produzierte Hansa P 8/26 PS von 1923, der im Besitz des Heimatvereins Varel und noch fahrfähig ist. Der Wagen hat einen 4-Zylinder-Motor mit 2,1 Liter Hubraum und leistete 30 PS. Ein 6 PS-Wagen (6 Steuer-PS) hatte 1,5 Liter Hubraum.

In Frankreich war die Besteuerung nach Steuer-PS noch lange gültig, erkennbar an dem auch in Deutschland sehr populären Kultauto Citroen 2CV (die Abkürzung nimmt Bezug auf die niedrige steuerliche Einstufung, nämlich zwei Steuer-Pferdestärken).

Hubraumsteuer

Nach dem 1. April 1928 wurden in Deutschland Personenwagen und Motorräder nach dem Hubraum versteuert. 4 Steuer-PS oder ab 1928 1 Liter Steuer-Hubraum kosteten jährlich 132 Reichsmark (in der Bundesrepublik später 144 DM). In der Weimarer Republik entsprach die Höhe der Besteuerung dem Monatslohn eines einfachen Arbeiters (Wochenlohn eines Industriearbeiters 1928: 52 Reichsmark; Monatslohn eines Angestellten: 177 Reichsmark). Allerdings gab es im Gegensatz zu heute keine ausufernde Mineralölbesteuerung. Die Mineralölsteuer wurde erst 1951 in der Bundesrepublik eingeführt. Die 1928 eingeführte Kraftfahrzeugsteuer war als Gebühr für die Wegenutzung definiert. Sie verschaffte dem Staat zusätzliche Einnahmen, aber nur anfangs: Die Zahl der in Deutschland produzierten Fahrzeuge war ab 1928 (da waren es 102 000 Personenwagen, 21 000 Lkw und Busse sowie 161 000 Motorräder) rückläufig. Folge des 1. Weltkriegs, der die deutsche Automobilindustrie von der internationalen Entwicklung abgehängt hatte.

Einnahmen sanken

Dazu kam eine liberale Handelspolitik, die freilich nur den ausländischen Herstellern nützte und die deutschen Produzenten benachteiligte (im Deutschen Reich hatte man die Einfuhrzölle für Personenwagen stark gesenkt und die naive Hoffnung gehegt, andere Staaten könnten es ebenso halten). Die Kfz-Steuer wurde von den Herstellern als eine von mehreren Maßnahmen empfunden, die das Autofahren unnötig verteuerte. Dabei war sie nicht der einzige Hemmschuh. Die Gesetzesnovelle reihte sich ein in eine Entwicklung, die das Autofahren seit vielen Jahren in Deutschland geprägt hatte. Schon im Kaiserreich gab es einen Rückstand zu anderen Staaten. In Deutschland gab es bei Ausbruch des 1. Weltkriegs 64 000 Automobile, davon 55 000 Personenwagen und 9000 Lastwagen. Frankreich hatte 107 000 Automobile, Großbritannien 265 000 und die USA 1,76 Millionen. In den Staaten gab es also 30 mal mehr Autos als in dem Land, in dem das Automobil erfunden worden war. Durch den Krieg geriet die deutsche Automobilindustrie weiter ins Hintertreffen. Die Produzenten hatten Fahrzeuge unter Kriegsbedingungen fertigen müssen, dazu kam eine auf militärische Fahrzeuge ausgerichtete Produktpalette, für die es nach dem Krieg keine Nachfrage mehr gab. Das galt nicht für die Hersteller in den USA, die quasi zu Friedensbedingungen und mit modernsten Produktionsmethoden herstellen konnten und auch einen riesigen Binnenmarkt hatten. Ein Arbeiter in den USA konnte sich einen einfachen Ford T leisten, in Deutschland reichte es 1928 für einen Arbeiter allenfalls für die Anschaffung eines Motorrads, das für vier bis fünf Monatslöhne zu haben war.

Warnung der Industrie

An den Bedingungen für die deutschen Autohersteller änderte der Staat jedoch wenig. Die Steuern für Kfz wurden ab 1922 in Schritten immer mehr ausgeweitet. Und der Steuersatz von 1928 wurde 1929 um 15 Prozent erhöht, 1930 um 10 Prozent, 1932 nochmals um 5 Prozent. Vergeblich forderten die Interessenvertreter der Hersteller nach einer Milderung, wie der Präsident des Reichsverbands der Automobilindustrie, Robert Allmers (1872 - 1951). Allmers stammte aus Varel, hatte 1905 zusammen mit anderen Automobilenthusiasten die Hansa-Automobilwerke in Varel gegründet, die 1914 mit der Namag (Bremen) fusionierten. Allmers gehörte dem Vorstand des Automobilverbands seit 1915 an, ab 1926 war er dessen Präsident. Er warnte vor den Steuererhöhungen, die seiner Einschätzung zu Mindereinnahmen führen würden. Die Regierung und die Parlamentarier im Reichstag hörten nicht auf den Verband, aus den erwarteten Mehreinnahmen von 160 Millionen Reichsmark für 1930 wurden Einnahmeausfälle von einer halben Milliarde Reichsmark. Allmers und sein Verband forderten als Notmaßnahme die Senkung der Kfz-Steuer um 50 Prozent.

Steuer ausgesetzt

Adolf Hitler, 1933 zum Reichskanzler ernannt, ging sogar noch weiter. Er hatte die Aussetzung der Kraftfahrzeugsteuer im Wahlkampf gefordert. Tatsächlich wurde die Kfz-Steuer ab 1. April 1933 für Neuwagen ausgesetzt (was bis 1939 galt). Besitzer von Fahrzeugen konnten sogar durch einmalige Zahlung (der doppelten Jahressteuer) die Steuerpflicht für die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs ablösen. Deshalb gab es noch nach dem Krieg einige Veteranenfahrzeuge, die aufgrund der Bescheinigung steuerfrei fahren durften. Folge der Steuerbefreiung war eine große Nachfrage nach Kraftfahrzeugen. Eines dieser Fahrzeuge gehörte Peter-Focko Juhren aus Einswarden. Der Adler Trumpf Junior, Baujahr 1937, war ein Kleinwagen, hatte ein Liter Hubraum und leistete 28 PS. Noch nach dem Krieg fuhr der Wagen, immer noch steuerbefreit, erinnert sich Enkel Harald Juhren. Übrigens durfte der Wagen nur vom Besitzer oder einer Person „im Auftrag“ gefahren werden, das war Bedingung für den Fortbestand der Steuerbefreiung. Bis zur Verschrottung war der Wagen in der Wesermarsch zugelassen.

Nach dem Krieg bestand die Kraftfahrzeugbesteuerung nach Hubraum fort – bis in den 80er Jahren die Debatte um die Schadstoffe und die Umweltbelastung dominierten. 1989 forderte der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer gar eine europaweite Kfz-Steuer zur Schadstoffminderung. Spätestens ab 1990 wurden die Pläne zur Schaffung einer Abgassteuer in Deutschland konkret. Der erste Entwurf von Klaus Töpfer scheiterte jedoch. Er hatte die Autos nach einem Punktesystem und den Gesichtspunkten Abgase, Lärm und Spritverbrauch besteuern wollen. Seine Referenten rechneten dann aus, dass nach dem Punktesystem ein Kleinwagen mehr Steuern hätte entrichten müssen als ein spritfressender Wagen der oberen Mittelklasse. Immer wieder tauchte die Idee einer Straßenbenutzungsgebühr auf – und wurde verworfen.

Abgassteuer ab 1997

1997 schließlich löste die neue Kraftfahrzeugsteuer die Hubraumsteuer ab. Es galt eine nach Schadstoffen gestaffelte Abgassteuer in Kraft. In der damals geltenden Euro-3-Norm (damals die „sauberste“ Schadstoffstufe) mussten Autobesitzer 10 DM für je 100 Kubikzentimeter Hubraum zahlen (Dieselfahrer zahlten 27 DM je 100 ccm). Die Folge waren, dass immer weniger Stinker auf den Straßen unterwegs waren. Bis 1998 wurden 850 000 ältere Fahrzeuge stillgelegt – freilich waren in Deutschland 41,3 Millionen Pkw zugelassen, davon noch 5,5 Millionen ohne jede Schadstoffreinigung.

Schwung in die Abgassteuer-Diskussion kam 2007, als die Länder beschlossen, die Kfz-Steuer an den Bund abzutreten. Der Bund führte einen Sockelbetrag ein (Benziner: 2 Euro für je 100 ccm Hubraum plus CO 2 -Zuschlag; 9,50 Euro für Diesel). Für jedes Gramm CO 2 über einem Grenzwert (zunächst 120 mg CO 2 pro Kilometer; ab 2011 110 mg, seit 2014 95 Gramm pro Kilometer) sind zwei Euro zu zahlen. Im Vergleich: Die Niederlande besteuern jeden gefahrenen Kilometer (6,7 Cent pro Kilometer).

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