Bonn - Bei einem schweren Unfall zählt mitunter jede Sekunde für einen eingeklemmten Autofahrer. Dahinter staut sich der Verkehr. So mancher Fahrer ärgert sich über den Zeitverlust, dreht die Musik lauter – und überhört das Martinshorn; Platz für eine Rettungsgasse zu machen, hat er natürlich auch vergessen; und mit dem Handy versucht er, noch ein Gaffer-Video fürs Netz zu drehen. Alltag auf deutschen Autobahnen, der sich auch bei dem Busunfall mit 18 Toten im Juli in Oberfranken zeigte.

Am Freitag beschloss der Bundesrat, dass sogenannte „Rettungsgassenmuffel“ ein Bußgeld von 200 Euro zahlen müssen – bisher lag es bei 20 Euro. Wenn bei stockendem Verkehr auf einer Autobahn oder außerorts für die Durchfahrt von Polizei- oder Hilfsfahrzeugen keine vorschriftsmäßige Gasse gebildet wird und dazu noch eine Behinderung oder Gefährdung festgestellt wird, können demnach sogar ein Monat Fahrverbot und bis zu 280 Euro verhängt werden. Bei Sachbeschädigung gar 320 Euro.

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Der Gesetzgeber spricht von einer erheblichen Verschärfung. Die falsche Bildung oder Nichtbildung der Rettungsgasse sei als besonders leichtsinnig, grob nachlässig und gleichgültig einzuordnen, sie stelle daher eine grobe und beharrliche Verletzung der Pflichten dar.

Die zuständigen Ministerien Verkehr und Umwelt begründen die höheren Strafen damit, dass die Rettungsgassenregelung im Verkehrsalltag nach wie vor unzureichend beachtet würde. Obwohl Ende vergangenen Jahres die Regelung vereinfacht und verständlicher gefasst worden sei. Der ADAC sieht bei der Rettungsgasse eher ein unbewusstes Fehlverhalten der Autofahrer. Viele wüssten im Ernstfall schlicht nicht, wo sie ihr Gefährt hinsteuern sollten.

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Aufklärung tut not. „Wir werben in den Sozialen Medien für die Rettungsgasse“, sagte der Sprecher des Malteser Hilfsdienst, Klaus Walraf, der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Auch der ADAC postete nach dem tragischen Busunglück in Bayern seinen Gassen-Clip: Auf mehrspurigen Autobahnen auf der linken Spur nach links und auf den anderen nach rechts ausweichen!

Den Helfern ist zudem aufgefallen, dass viele Fahrer nach dem ersten Rettungsfahrzeug die Gasse wieder schließen. Dabei sei in den seltensten Fällen nur ein Einsatzwagen unterwegs. „Bei jedem weiteren Versuch, die Gasse zu bilden, verkeilen die Autos mehr und die Retter benötigen noch länger“, betont eine ADAC-Sprecherin.Sie verweist zudem auf einen positiven Nebeneffekt für alle Fahrer: Der Stau löst sich am schnellsten auf, wenn die Retter zügig am Unfall ankommen und dementsprechend auch schneller wieder abziehen können.

Es wurde zuletzt sogar beobachtet, wie Fahrer auf der Autobahn wendeten und entgegen der Fahrtrichtung einen Ausweg aus dem Stau suchten. Andere Autofahrer filmten dies und die Polizei konnte Ermittlungen aufnehmen. Die „Geisterfahrer“ erwarten nun wohl harte Strafen.

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Der Malteser Hilfsdienst erinnert zudem an ein weiteres Problem: Es sei „immer schon schlimm“ mit Gaffern gewesen. „Aber in den letzten Jahren kommt nun auch noch das Filmen dazu“, so Sprecher Walraf. Neugier ist als eine Grundeigenschaft des Menschen laut ADAC nicht per se zu verteufeln. „Gewinnt aber die Sensationslust zu sehr an Bedeutung, werden sicherheitsrelevante Hemmnisse schnell über Bord geworfen“, heißt es beim größten Automobilclub Deutschlands. Vielen Schaulustigen fehle häufig das Bewusstsein für die tatsächliche Lage am Unfallort - sie stellten ihre Sensationsbefriedigung über die Bedürfnisse anderer.

Der Leiter der Feuerwehr-Seelsorge im Bistum Augsburg, Oliver Stutzky, sieht das Problem auch bei den Sozialen Medien. „Zum einen kriegt man da Likes für Unfallfotos, zum anderen stumpfen die Menschen umso mehr ab, je mehr schlimme Bilder sie im Netz sehen“, sagte der Diakon. Die Kamera fungiert dem ADAC zufolge häufig als Filter „und verleiht dem Filmenden eine gewisse Anonymität, ein Versteck sozusagen“.

Der Bußgeldkatalog sieht für die Ordnungswidrigkeit „Gaffen“ 20 bis 1.000 Euro vor. Bei unterlassener Hilfeleistung oder dem Filmen handelt es sich sogar um eine Straftat, bei der eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe droht.