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Grauer Wohnungsmarkt in Emden Das miese Geschäft mit fiesen Wohnungen

Emden - Alles begann mit einer E-Mail. Thorsten Schäfer (Name von der Redaktion geändert) beschwert sich über den Zustand einer Barenburger Wohnung, in der seine in Not geratene Freundin untergekommen ist. Mitarbeiter unserer Redaktion und Schäfer treffen sich, sehen sich Wohnung und Haus gemeinsam an. Die Mängel sind offensichtlich. Doch die eigentliche Arbeit beginnt erst nach dem Besichtigungstermin. Denn im Laufe der Recherche wird klar: Das, wovon Schäfer berichtet, ist kein Einzelfall. Dahinter steht eine ganze Branche, die auch in Emden ihr Unwesen treibt und landläufig als „grauer Wohnungs- oder Mietmarkt“ bezeichnet wird.

Grauer Wohnungsmarkt – was ist das?

Auf dem sogenannten grauen Wohnungsmarkt finden Menschen eine Unterkunft, die anderswo oft keine Chance haben: Obdachlose, Suchtkranke, Schuldner, Asylbewerber und EU-Ausländer, aber immer häufiger auch Menschen, die einfach nur geringe Einkommen haben. Kurz gesagt: Die Mieter stammen aus einem Milieu, das man als „sozial schwach“ bezeichnen könnte. Die Verhältnisse auf diesem Markt sind oft prekär - hygienisch bedenkliche Zustände, Ungeziefer, kleine heruntergekommne Zimmer und Wohnungen sind keine Seltenheit. Es gibt aber auch Ausnahmen.

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Wie funktioniert das System dahinter?

Die Mieten werden in der Regel direkt von der Stadt (für Sozialhilfeempfänger und Asylbewerber) oder dem Jobcenter (für Hartz-IV-Empfänger und EU-Ausländer) bezahlt. Die Mieten orientieren sich sehr häufig an der Obergrenze dessen, was die Ämter bezahlen. In Emden sind das bis zu 450 Euro. Darin sind die Betriebskosten (Gas, Wasser) bereits enthalten. Ihren Stromverbrauch müssen die Mieter von dem Regelsatz bestreiten, der ihnen vom Staat für ihren Lebensunterhalt zur Verfügung gestellt wird (432 Euro).

Und diese Branche gibt es auch in Emden?

Ja. Unserer Redaktion wurden während der Recherche verschiedene Adressen genannt, die dem grauen Mietmarkt zuzuordnen sind. Um Betroffene und Quellen zu schützen, sind die Adressen nicht explizit genannt. Dennoch ein konkretes Beispiel: Im September hatte unserer Redaktion die Recherche aufgenommen und sich auf Einladung der Mieterin Eszter Szabo und ihres Bekannten Thorsten Schäfer (Namen von der Redaktion geändert) eine Wohnung in Barenburg angesehen. Für die 28 Quadratmeter große Wohnung wurde eine monatliche Miete von 475 Euro warm (inklusive Heiz-, Betriebs- und Stromkosten) fällig. Der Mietvertrag liegt unserer Redaktion vor.

Auf den ersten Blick war die Wohnung zwar sauber, hielt im Teppich aber eine böse Überraschung parat (siehe „Hinter der Recherche“). Vor allem das Umfeld der Wohnung in dem mehrgeschossigen Haus sorgte für Unwohlsein. Eine Besichtigung sei vor Bezug nicht möglich gewesen, berichtete Schäfer. Da seine Bekannte aber im Zuge der Pandemie Job und Unterkunft verloren hätte und in Not gewesen sei, habe sie keine Wahl gehabt. Alles in allem: „Menschenunwürdig“, urteilt Schäfer. Doch es gibt auch andere Stimmen: Noch eine der besseren Wohnungen, sagt ein Beobachter des grauen Mietmarktes, der bei einer sozialen Einrichtung in Emden arbeitet. Eszter Szabo zog trotzdem aus und kam anderweitig unter. In dem betroffenen Haus soll sich inzwischen einiges zum Besseren verändert haben.

Wie viele Vermieter verdienen so ihr Geld?

Knapp ein Dutzend Vermieter verdient nach Informationen unserer Redaktion sein Geld auf dem grauen Wohnungsmarkt. Mindestens. Auf die meisten von ihnen beziehen unsere Quellen ihre Abzocke-Kritik. Berichtet wurde von Toiletten im Keller, Wohnungen im Rohbau, Wohnungen ganz ohne Bad und Küche, fehlenden Müllbehältern, undichten Fenstern. Nach einer Schätzung könnten einige der Vermieter mehrere Tausend Euro Gewinn jeden Monat erzielen, ohne sich groß um den Zustand ihrer Wohnungen zu scheren. Es gebe auch rühmliche Ausnahmen - die seien allerdings selten, hieß es.

Was ist das Dilemma bei der Sache?

Bei den Mietern handelt es sich häufig um eine „schwierige Klientel“. Das sagen selbst Sozialarbeiter. „Da sind Leute dabei, die sind psychisch krank oder alkoholabhängig.“ Auf dem regulären Markt würden diese Menschen schlicht keine Unterkunft finden, weil niemand an sie vermieten will. Ein Teil von ihnen geht wohl auch nicht sorgsam mit seiner Unterkunft um.

Was sagt ein Vermieter dazu?

So argumentiert auch der Oldenburger Vermieter Andre Engelmann, dem unter anderem die von unserer Redaktion im September besuchte Immobilie in Barenburg gehört. Er sieht die Sache anders und wehrt sich gegen eine Schwarz-Weiß-Darstellung. Engelmann verweist darauf, dass in der Miete Betriebs- und Stromkosten enthalten sind. Das Haus habe er erst kürzlich übernommen und „im Paket gekauft“. Die Mängel würden nach und nach beseitigt, sagte Engelmann, als unsere Redaktion vor einiger Zeit mit ihm telefonierte. Tatsächlich wurden danach im Flur neue Briefkästen montiert. Außerdem war kürzlich eine Gebäude-Reinigungsfirma in dem Haus, wie unsere Redaktion erfuhr. Engelmann verwies auf Schwierigkeiten mit seinen Mietern. Fast 80 Prozent hätten einen Sozialbetreuer und würden in Emden keine Wohnung finden. Bei ihm schon. Seine Mieter würden die Wohnungen oft in einem schlechten Zustand hinterlassen, Ungeziefer einschleppen und mehr Gas und Strom verbrauchen, als sie bezahlten. „Für uns ist das eigentlich ein Minusgeschäft“, sagt der Immobilienbesitzer, der nach eigenen Angaben knapp 70 Häuser in Emden, Leer und Oldenburg „im Bestand“ hat.

Lars Möller
Lars Möller Emder Zeitung
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