Berlin/Leipzig - Vom verhassten Kunstprodukt zum Retter des Fußball-Ostens? Zumindest will RB Leipzig im Pokalfinale gegen Branchenprimus Bayern München nicht nur für sich den Titel holen. „Wir feiern 30 Jahre Mauerfall“, sagt der einstige RB-Torwarttrainer und heutige Club-Repräsentant Perry Bräutigam, der als Torwart drei Länderspiele für die DDR bestritt, „vielleicht würden wir diesen Pokal nicht nur für die Stadt Leipzig gewinnen, sondern für den ganzen Osten.“

Aber will das der Osten überhaupt? Die Kritik am vor zehn Jahren mit vielen Millionen Euro des österreichischen Getränkekonzerns Red Bull aus dem Boden gestampften Projekt RB (selbst verpasster Spitzname: „Die roten Bullen“) ist zwar leiser geworden, die Akzeptanz durch den Erfolg und die attraktive Spielweise gestiegen. Doch wirkliche Euphorie ist zwischen Mecklenburg und Sachsen nicht zu spüren, wenn der Club an diesem Samstag (20 Uhr/ARD) nach seinem ersten Titel greift.

„Jetzt daraus zu schließen, der ganze Osten würde darauf warten, ist mir ein bisschen zu hoch gegriffen“, sagt DDR-Rekordauswahlspieler Joachim Streich. Der frühere Torjäger von Hansa Rostock und des 1. FC Magdeburg ergänzt: „Es ist ja nicht so, dass der Osten auf RB gewartet hätte.“ Auch in Magdeburg, Berlin und Dresden werde „guter Fußball gespielt, der die Fans elektrisiert“. Auch Christian Beeck, der als Spieler und Sportdirektor eine lange Vergangenheit bei Ost-Traditionsclubs hat, kann mit RB Leipzig als neuem Leuchtturm nichts anfangen. „Der Fußball-Osten hat durch einen möglichen Pokalsieg von RB Leipzig nichts. Dadurch wird kein anderer Verein im Osten besser“, sagt Beeck.

Warum hat es RB Leipzig auch zehn Jahre nach der Vereinsgründung schwer, die Fans in den sogenannten neuen Bundesländern emotional zu packen? Hauptgrund ist die fehlende Verwurzelung in der DDR-Oberliga, es gibt keine Derby-Vergangenheit zum Beispiel mit Lok Leipzig oder dem Chemnitzer FC. Zum anderen ist das Prinzip, mit viel Geld und Professionalität möglichst schnell und maximal erfolgsorientiert voranzukommen, ein krasser Gegensatz zur Arbeit in den anderen Proficlubs der Region.

„Man kennt ja das Konstrukt RB, das hat mit dem Osten nicht so viel zu tun“, sagt Heiko Scholz, früherer Trainer bei Lok Leipzig und heute Coach von Wacker Nordhausen. Ralf Heskamp, Sportdirektor des Halleschen FC, sagt deshalb für sich und stellvertretend für die HFC-Fans: „Wir verfolgen das Pokalfinale interessiert, aber weitgehend ohne Emotionen.“ Die Befindlichkeiten der Fans im Osten hat Heskamp dabei schnell registriert, er war zuvor lange beim VfL Osnabrück tätig gewesen.

Selbst FC-Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge, der viel Respekt vor der Arbeit von RB zeigt, hatte nach dem Bundesliga-Aufstieg der Leipziger gewusst, dass sich „die Fans im Osten mehr über einen Bundesligisten Dynamo Dresden gefreut hätten“.

Beim Leipziger Finalgegner aus München hat Rummenigge derweil Gerüchten über eine angeblich erwogene Trennung von Trainer Niko Kovac widersprochen. „Es hat doch niemand infrage gestellt, dass er nächste Saison noch unser Trainer ist“, sagte Rummenigge am Freitag auf einer Veranstaltung in Berlin.