Wilhelmshaven - Immer mehr Menschen nehmen sich in Deutschland das Leben. Bei mehr als 10 000 Selbsttötungen im Jahr ist die Zahl der Suizide in Deutschland höher als die Zahl der Verkehrstoten. „Damit ist der Suizid zu einem der größten gesellschaftlichen Probleme geworden – aber niemand spricht darüber“, sagt Christhild Roberz, Leiterin der Telefonseelsorge-Stelle Friesland-Wilhelmshaven, die am Wochenende ihr 30-jähriges Bestehen feiert.

„Wir wollen diesen Termin zum Anlass nehmen, das Thema aus der Tabuzone herauszuholen“, sagt die Diplom-Theologin, die eine zunehmende Vereinsamung in der Gesellschaft als eine der wichtigen Ursachen für die seit 2007 steigende Zahl der Selbsttötungen ansieht. Viele Menschen hätten Angst davor, von anderen nicht verstanden zu werden. Das lasse das Problem immer größer werden, sodass der Suizid eine der ganz großen Herausforderungen für die Gesellschaft sei. Mehr Mitmenschlichkeit und mehr gegenseitige Wertschätzung seien Möglichkeiten, gegen den Trend anzusteuern. Aber das falle vielen Menschen schwer. „Wir erleben, dass ja auch bei der Telefon-Kommunikation Gefühle meist nur noch durch Smiley-Symbole ausgedrückt werden“, bedauert die Seelsorgerin, die ein Team von mehr als 30 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern leitet. Und wenn in der Politik alte, kranke und pflegebedürftige Menschen nur noch als Kostenfaktoren gesehen würden, verstärke dies die negative Entwicklung.

Die Telefonseelsorge versuche, unter der kostenlosen Rufnummer 0800/1110111 den Menschen zur Seite zu stehen, die sonst niemanden hätten, dem sie sich anvertrauen könnten. 24 Stunden pro Tag und zwar an sieben Tage pro Woche seien die Anschlüsse der Telefonseelsorge bundesweit besetzt. Kranke und einsame Menschen machten den größten Teil der Anrufer aus, gefolgt von Menschen, die unter ihren familiären Beziehungen sowie Depressionen und Ängsten leiden. Träger der ökumenisch finanzierten Einrichtung ist der evangelische Kirchenkreis Friesland-Wilhelmshaven. Kreispfarrer Christian Scheuer sieht auch in einem gesellschaftlichen Wandel einen Grund für die insgesamt etwa 4000 Anrufe, die von Telefonseelsorge-Stelle, die in einem anonymen Büro in Wilhelmshaven untergebracht ist, angenommen werden: „Es gibt eine zunehmende Sinnleere in unserer Gesellschaft – und auch die Wahlergebnisse zeigen, dass sich viele Menschen beispielsweise von der Politik nicht mehr verstanden fühlen.“

Das 30-jährige Bestehen der Wilhelmshavener Einrichtung wird am Samstag, 20. Oktober, ab 14.30 Uhr mit einem Festgottesdienst und anschließendem Empfang in der Banter Kirche in Wilhelmshaven gefeiert.

Jürgen Westerhoff