Hannover - Gedankenverloren blickt Friederike Holst (Name geändert) durch das Fenster der Terrassentür in den Garten. Ein großes Trampolin nimmt fast die gesamte Rasenfläche ein. „Das ist mein Turngerät“, sagt die 46-Jährige energisch und betont das „mein“. „Aber“, fügt sie hinzu, „mit unserem Kind zusammen darauf herumzuhüpfen, das wäre schön gewesen.“

Holst lebt mit ihrem Mann großzügig im eigenen Haus in Niedersachsen. Die Diplom-Kauffrau, Personaltrainerin und Dozentin reist viel, beruflich und privat. Sie hat es gut getroffen im Leben, finden die vielen Freunde. „Und ich selbst sehe das ja auch oft so“, sagt sie. Und doch vermisst sie etwas: „Vielleicht sollte es ja so sein, dass ich keine Kinder bekomme“, sinniert Holst.

Etwa zehn Prozent der Paare in Deutschland haben kein Kind, obwohl sie sich eines wünschten. Bei Tausenden bleibt der Kinderwunsch wie bei Friederike Holst auch nach mehreren künstlichen Befruchtungen in einem der 125 Kinderwunschzentren unerfüllt.

„Am schlimmsten ist es an Weihnachten“, sagt Holst, die aus einer traditionellen Bauernfamilie stammt. „Alle meine Geschwister haben Kinder und ich liebe sie. Aber ich sehe dann auch diesen Stolz in ihren Augen. Und das tut weh.“

Den Fokus hat sie jetzt auf ihren Beruf gelegt. Ein Aufstieg auf der Karriereleiter ist ihr dennoch versagt geblieben: „Die Behandlungen haben mir so viel Kraft geraubt.“ Bis heute habe sie ihre Arbeitszeit reduziert. „Für eine Leitungsfunktion war ich irgendwann nicht mehr belastbar genug, fanden meine Vorgesetzten.“

Der Psychologe und Psychotherapeut Tewes Wischmann schätzt, dass etwa 15 bis 20 Prozent der ungewollt kinderlosen Frauen und Männer professionelle psychologische Hilfe benötigen. Es gehe darum, „für sich einen Plan B zu entwickeln“, sagt er. Der Fachautor und Professor am Universitätsklinikum Heidelberg ist Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Kinderwunschberatung. Paare müssten schon vor der ersten künstlichen Befruchtung darauf vorbereitet werden, dass ein Erfolg ausbleiben könnte, fordert Wischmann. Eine Beratung durch ausgebildete Fachkräfte sollte vor, während und nach reproduktionsmedizinischer Behandlung angeboten werden. Die Kinderwunschzentren seien dazu bislang jedoch nicht verpflichtet. Bezahlt werde eine solche Beratung von den Kassen auch nicht. Ein Manko, findet der Experte.

So gebe es eine Handvoll sehr komfortabel ausgestatteter Zentren in Großstädten, die eigene Beratungsfachkräfte hätten. „In ländlichen Gegenden, vor allem im Osten, ist es aber schwierig, überhaupt geeignete Berater zu finden“, sagt der Psychologe. Die Gesellschaft für Kinderwunschberatung führe deutschlandweit 180 Fachleute auf, die regional sehr ungleich verteilt seien.

Auch Friederike Holst fühlte sich nach drei gescheiterten Versuchen mit künstlicher Befruchtung nicht gut unterstützt. Psychologische Hilfe hat sie sich dann selbst organisiert.

In jungen Jahren hatte die sportlich-schlanke Frau verhütet. „Ich wollte ein Wunschkind mit dem richtigen Mann“, erzählt sie. Als sie dann tatsächlich schwanger wurde, erlitt sie eine Fehlgeburt. Mit Mitte 30 lernte Holst ihren heutigen Mann kennen. Beide wollten ein Kind. Doch sie wurde nicht schwanger.

Viele Paare neigten während der Behandlung dazu, sich von ihrer Umwelt abzukapseln und alles dem gewünschten Erfolg unterzuordnen, sagt Susanne Steinhübel. Die Psychologin von der Beratungsstelle „pro familia“ Osnabrück leitet seit Jahren Gruppen für Paare während der Kinderwunschbehandlung. Die Hormone, die vor jeder Befruchtung eingenommen und nach der Abstoßung des Embryos wieder abgesetzt werden müssten, schickten die Frauen durch ein Wechselbad der Gefühle. Steinhübel thematisiert in ihren Gruppen deshalb immer auch den Abschied vom Kinderwunsch. Ähnlich wie beim Tod eines nahen Angehörigen gebe es dabei verschiedene Trauerphasen. Rituale oder ein Ort zum Trauern könnten helfen. Danach gehe es darum, Alternativen zu entwickeln, die Leere zu füllen. „Sonst besteht die Gefahr der Depression.“

Friederike Holst hat nach den drei erfolglosen Versuchen die Reißleine gezogen. „Jedes Mal hatte ich das Gefühl, da ist ein Kind und mir wird es wieder genommen.“ Im Beruf funktionierte sie. Auch zu Freunden hielten sie und ihr Mann weiter Kontakt. „Aber zu Hause war ich nur traurig. Die Trauer hat schließlich so viel Raum eingenommen.“ Sie wurde krankgeschrieben, machte eine Kur. Es folgten dann noch zwei erfolglose Adoptionsversuche. Am Ende blieb nur Enttäuschung. „Danach habe ich drei Tage lang nur geweint. Ich konnte nicht aufhören. Die Tränen liefen einfach.“ Sie und ihr Mann sind dann in den Urlaub gefahren, kauften ein Ferienhaus.

Mit anderen betroffenen Frauen hat Holst die Selbsthilfegruppe „Abschied vom Kinderwunsch“ gegründet: „Wir wollen dem Schmerz etwas entgegensetzen.“ Ganz abschließen könne das Thema aber keine von ihnen. Auch Psychologin Steinhübel glaubt, dass die Sehnsucht bleibt. „Spätestens, wenn andere Enkel bekommen, ist der Schmerz wieder da. Doch wenn die Trauer bewältigt ist, wirft er einen nicht mehr aus der Bahn.“

In dem Haus mit Garten und Trampolin erinnert nichts mehr daran, dass hier mal ein Kind einziehen sollte. Das Wohnzimmer ist stilvoll dekoriert. Was einmal Kinderzimmer werden sollte, ist heute Gästezimmer.