Oldenburg/Wilhelmshaven - Das Oldenburger Land war im Januar 1919 im Wahlkampfmodus. Am 19. Januar 1919, vor genau 100 Jahren, fand die Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung statt. Es war in mehrerer Hinsicht ein besonderer Sonntag. Zum ersten Mal gab es in Deutschland freie, geheime und gleiche Wahlen, Frauen durften zum ersten Mal zur Wahl gehen. Das Wahlalter war von 25 auf 20 Jahre herabgesetzt worden.

Die Beteiligung war groß. Ungefähr die Hälfte der Wähler waren Erstwähler. Im Oldenburger Land entfielen die Stimmen auf sechs Parteien (deutschlandweit entsandten neun Gruppierungen Abgeordnete in die Versammlung), wobei die liberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) mit 30,2 Prozent die meisten Stimmen bekam, gefolgt von der SPD, die im Oldenburgischen auf 29,9 Prozent der Stimmen erhielt (in Deutschland war die SPD mit 37,7 Prozent die stärkste Partei).

Nach Listenwahlrecht wurden 423 Mitglieder der Nationalversammlung gewählt, darunter 37 Frauen. Aus Weser-Ems war eine Frau dabei, nämlich Marie Behncke (1880 bis 1944), die aus Dangastermoor stammte und die erste Parlamentarierin Nordwestdeutschlands war. Als Dienstmädchen hatte sie in Wilhelmshaven gearbeitet und 1902 den Maschinenbauer Hermann Behncke (1878-1960) geheiratet.

Marie Behncke war von 1914 bis 1921 Mitglied des Bezirksvorstands der SPD und 1920 Mitbegründerin der Arbeiterwohlfahrt Rüstringen/Wilhelmshaven. Sie war Nachrückerin für den Sozialdemokraten Paul Hug und nahm von August 1919 bis Juni 1920 (erste Reichstagswahl) an den Sitzungen der Nationalversammlung teil, die bis zur ersten Reichstagswahl als Gesetzgeber fungierte.

Weitere Frauen, die erstmals in ein deutsches Parlament gewählt wurden, waren die Berlinerinnen Marie-Elisabeth Lüders (1878-1966; DDP, später FDP) oder Marie Juchacz (1879-1956; SPD), die erste Frau, die eine Rede in einem deutschen Parlament hielt. Sie gründete bald darauf, am 13. Dezember 1919 die Arbeiterwohlfahrt.

Aus Weser-Ems waren Eduard Burlage und August Hagemann (Zentrum), Alfred Henke (USPD, Bremen), der Wilhelmshavener Paul Hug (SPD) sowie die Liberalen Erich Koch-Weser und Theodor Tantzen (beide DDP) in der Nationalversammlung vertreten. Koch-Weser (1875-1944) wurde in Bremerhaven geboren und besuchte das Alte Gymnasium in Oldenburg. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft war er von 1901 bis 1909 Bürgermeister von Delmenhorst und gehörte auch dem Oldenburgischen Landtag für die Freisinnigen (ein Vorläufer der DDP) an. Von 1913 bis 1919 war er Oberbürgermeister von Kassel, und als Koch-Cassel war er für die DDP in die verfassungsgebende Versammlung gewählt worden.

Ab 1920 war er Mitglied des Reichstags Er war in mehreren Kabinetten Innenminister und Justizminister. Ab 1927 nannte er sich Koch-Weser. Der überzeugte Demokrat war zeitweise Vorsitzender der DDP, von der er sich aber Ende der 20er Jahre entfremdete. Koch-Weser gründete die Deutsche Staatspartei, die aber erfolglos blieb.

Wegen der jüdischen Herkunft seiner Mutter wurde er 1933 als Notar entlassen. Im November 1933 emigrierte Koch-Weser nach Brasilien. Zwei seiner Neffen wurden ebenfalls Politiker: Ekhard Koch (oldenburgischer Verwaltungspräsident 1953-1955) und Harald Koch (1946 oldenburgischer Finanzminister, 1947-1949 hessischer Wirtschaftsminister).

Zurück zur Wahl der Nationalversammlung: Im Jeverland hatte die SPD noch besser abgeschnitten als im restlichen Oldenburger Land (37,2), zusammen mit der USPD (10,6) war das fast eine absolute Mehrheit. Die DDP kam im Jeverland auf 28,3 Prozent, die DVP auf 23,1 Prozent. Das Zentrum spielte im Jeverland bis zum Ende der Weimarer Republik keine Rolle. Das Zentrum war traditionell im katholischen Oldenburger Münsterland stark.

Der Wahl zur Nationalversammlung folgte die Wahl zur verfassunggebenden Landesversammlung am 23. Februar 1919. Der Oldenburgische Landtag, der als einziger deutscher Landtag durch die Revolution nicht aufgelöst wurde, verabschiedete am 23. Januar 1919 ein Wahlgesetz. Vom Beschluss des Landesdirektoriums (der Regierung) am 3. Januar bis zur Vorlage (20. Januar) waren keine drei Wochen vergangen.

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