Am Sonntag hat RTL die erste Folge des Formats „Train your Baby like a Dog – Die Hund-Kind-Methode“ ausgestrahlt. Seitdem hagelt es Kritik von allen Seiten. Nun äußert sich Sandra Strahler vom Kinderschutzbund Oldenburg zu der Sendung.
Frau Strahler, was sagen Sie zu der Sendung, in der eine Hundetrainerin überforderten Familien helfen will?
StrahlerIm ersten Moment ist man wirklich sprachlos und denkt, dass so etwas im Jahr 2021 nicht mehr passieren kann. Schon allein der Titel ist als Aufforderung formuliert. Man kann nur hoffen, dass dieser niemand nachkommt.
Haben Sie die Folge gesehen?
StrahlerWir vom Kinderschutzbund wollten die Sendung nicht sehen. Allein die Idee und Existenz dieser Sendung reicht uns, das Format abzulehnen, da es absolut nicht unserer Vorstellung von Kindern und Familienleben entspricht. Zu Recherchezwecken habe ich die Sendung dennoch angeschaut – und fühlte mich mehr als bestätigt. Das Format ist noch viel schlimmer als ich gedacht habe. Es ist auf so vielen Ebenen falsch. Eigentlich sollte man das niemandem mehr erklären müssen – aber offensichtlich liege ich hier falsch.
In Deutschland wird eine Sendung so oft kontrolliert, bis sie ausgestrahlt wird. Dass dabei niemand ein Veto eingelegt hat, ist schockierend.
Sandra Strahler, 47 Jahre alt, ist Erziehungswissenschaftlerin und die pädagogische Leitung beim Kinderschutzbund Oldenburg. Die Oldenburgerin ist verheiratet und hat zwei Kinder.
Familien, die Hilfe benötigen, können sich unter anderem an den Kinderschutzbund, Kinderschutzzentren oder die AWO wenden.
Was sind Ihre Kritikpunkte?
StrahlerWie in vielen anderen Sendungen werden auch hier Familien in Not vorgeführt. Sie zeigen ihre Kinder, obwohl diese das alles noch gar nicht beurteilen können. Und diese Bilder bleiben. Dieses Vorgehen widerspricht sämtlichen Kinderrechten, den Rechten am eigenen Bild oder auch dem Recht auf Privatsphäre. Kinderrechte sollten inzwischen bekannt sein – hier werden sie mit Füßen getreten. Eigentlich bräuchte man also nicht in die pädagogische Diskussion einsteigen.
Dennoch gibt es auch hier konkrete Kritik von Ihnen...
StrahlerNatürlich sind Kinder anders zu behandeln als ein Haustier. Wenn man etwa ein Kind immer schlägt, wenn es sich Süßigkeiten nimmt, tut es das irgendwann auch nicht mehr – aber nicht, weil es verstanden hat, worum es geht, sondern, weil es Angst hat. Das Argument, die Trainerin habe Erfolg mit der Methode, ist perfide. Sie muss wissen, dass der Erfolg kurzfristig ist.
Was beim Zuschauen noch wütend macht, ist die Tatsache, dass die ganze Zeit in Anwesenheit des Kindes über das Kind gesprochen wird. Es bekommt direkt mit, dass es mit einem Hund gleichgesetzt wird. Und auch die Eltern sprechen vor ihrem Kind negativ über es – das Kind ist immer das Problem. Das ist grundsätzlich der falsche Ansatz.
Was könnten Folgen sein?
StrahlerDie Familien werden in die Öffentlichkeit gezerrt – sie werden dadurch ständig mit dem Problem konfrontiert. Das ist wenig förderlich für die Beziehung zu den Eltern, weil das Kind das Vertrauen verlieren kann. Ihm wird suggeriert, es sei so schlimm gewesen, dass seine Eltern Hilfe brauchten. Am Ende werden sich die Probleme noch verstärken. Was das Kind braucht, wird nicht gesehen.
In der Sendung taucht auch ein Psychologe auf. Was sagen Sie zu seiner Funktion?
StrahlerEr gibt der Sendung den Anschein, dass sie von pädagogischer Seite her geprüft worden und in Ordnung sei. Dabei sagt er einen richtigen Satz, nämlich dass es um die Bedürfnisse der Kinder gehe. Wenn ihm das klar ist, dürfte er von seiner Profession her nicht an der Sendung teilnehmen oder müsste dem zumindest Einhalt gebieten. Damit hat er seinem Berufsstand keinen Gefallen getan. Man kann und darf nicht mit Kindern experimentieren und schauen, was funktioniert.
Warum genau ist der Ansatz so schwierig?
StrahlerDie hier gezeigten Probleme bestehen seit Jahren. All die Schwierigkeiten haben Vorgeschichten. Die Familien müssten viel ganzheitlicher betrachtet werden, als hier oberflächlich an kleinen Beispielen vermittelt wird. Was hier gezeigt wird, ist keine Hilfe, sondern ein Vorführen, um die Sensationsgier der Zuschauer zu befriedigen.
Es gibt bereits viele Beschwerden. Was ist Ihre Forderung?
StrahlerWenn wir könnten, würden wir dafür plädieren, diese Sendung nicht weiter auszustrahlen. Wir kreiden dem Sender zudem an, nur auf Quote aus zu sein.