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Nachhaltigere Stadtplanung Sanierung schlägt Neubau

Volker Kühn
Abriss statt Erhalt: Die Wagenremise an der Auguststraße ist nur ein Beispiel für wenig nachhaltige Stadtplanung.

Abriss statt Erhalt: Die Wagenremise an der Auguststraße ist nur ein Beispiel für wenig nachhaltige Stadtplanung.

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Oldenburg - Wie man es nicht machen sollte, konnte sich Nicole Becker 2019 wochenlang vor ihrem Büro in der Oldenburger Jade Hochschule ansehen. Als einen Steinwurf entfernt das Gerätehaus der alten Feuerwache abgerissen wurde, um Platz für einen Neubau zu schaffen, türmte ein Bagger die Trümmer zu einem großen Haufen. Anschließend fuhr er so lang darauf herum, bis Klinkersteine, Beton, Holzbalken und Metallreste so klein gemahlen waren, dass sie abtransportiert werden konnten.

„Jeder von uns hat gelernt, seinen Abfall in diverse Tonnen zu sortieren, damit so viel wie möglich recycelt werden kann“, sagt Becker, Professorin für energieeffizientes und ressourcenschonendes Bauen an der Jade Hochschule. „Aber wenn ein Haus abgerissen wird, gewinnen wir nur Bruchteile der Rohstoffe sinnvoll zurück. Was für eine Verschwendung!“

Der Umgang mit Bauschutt ist ein Beispiel dafür, dass etwas grundlegend falsch läuft in der Gebäudewirtschaft. Der Rohstoffhunger der Branche bringt den Planeten an den Rand seiner Leistungsfähigkeit. Allein China soll binnen drei Jahren mehr Zement verbaut haben als die USA im gesamten 20. Jahrhundert. Sand ist vielerorts längst Mangelware.

38 Prozent der CO2-Emissionen kommen aus der Gebäudewirtschaft

Doch das Problem ist noch viel größer. Der Gebäudesektor ist ein echter Klimakiller. Nach Zahlen der Vereinten Nationen steht er für 38 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen. Sie werden bei der Produktion der Baustoffe frei, bei ihrem Transport und dem Bau selbst, aber auch im Betrieb der Gebäude, wenn sie Strom und Wärme aus fossilen Quellen beziehen. Sanierungen sowie der Abriss und die Entsorgung kommen hinzu. „Ich bin äußerst skeptisch, dass der Gebäudesektor in Deutschland bis 2045 klimaneutral ist“, sagt deshalb Alexander Rudolphi, Mitgründer der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB).

Eines der größten Probleme ist Beton, der wegen seiner Formbarkeit und Stabilität beliebteste Baustoff überhaupt. Für seine Herstellung ist Zement nötig. Doch der setzt selbst dann CO2 frei, wenn er ausschließlich mit grüner Energie produziert wird. Wäre die Zementindustrie ein Land, läge sie hinter China und den USA auf Rang drei der größten CO2-Verursacher weltweit.


Experten sind sich im Grundsatz einig, was wir tun müssten, um den Trend zu brechen: Wir müssten weniger neu bauen, mit besseren Materialien, die sich am Ende der Lebenszeit eines Bauwerks leichter recyceln lassen. Und wir müssten unsere Häuser konsequent mit erneuerbaren Energien heizen und elektrifizieren. Daniel Furhop, Kandidat der Grünen bei der Oldenburger OB-Wahl im vergangenen Jahr, hat seinem Blog nicht umsonst den provokanten Titel „Verbietet das Bauen“ gegeben.

Eine gigantische Materialschlacht

Doch von einem Baustopp ist Deutschland weit entfernt. Im Gegenteil: Angesichts steigender Mieten und der Wohnungsnot in beliebten Städten hat die Bundesregierung das Ziel ausgegeben, 400.000 neue Wohnungen zu schaffen. Es ist eine gewaltige Materialschlacht, die da auf Deutschland zukommt.

Für DNGB-Mitgründer Rudolphi ist das Ziel zwar nachvollziehbar, aber falsch formuliert. „Wir brauchen neue Wohnungen“, sagt der aus Bremerhaven stammende Bauingenieur. „Aber das müssen nicht ausschließlich Häuser sein, die wir neu aus dem Boden stampfen.“ Stattdessen sollte sich der Fokus viel stärker auf den gewaltigen Bestand an Gebäuden richten. Wohnblocks könnten mit leichten, klimafreundlichen Baustoffen wie Holz um weitere Etagen aufgestockt werden, leerstehende Bürohochhäuser zu attraktiven Wohnhäusern umgebaut werden.

Häuser verbrauchen weniger Energie pro Quadratmeter – aber Wohnfläche steigt

Auch für Professorin Becker dreht sich die Diskussion noch immer zu stark um Neubauten. Die seien zwar in den vergangenen Jahrzehnten viel effizienter geworden. Weil aber zugleich die Wohnfläche pro Kopf stetig wachse, werde ein Teil des Fortschritts gleich wieder zunichte gemacht.

Ohnehin ist dem Klima wenig geholfen, wenn Zehntausende Einfamilienhäuser auf Ackerflächen an den Stadträdern hochgezogen werden, während in 60er- und 70er-Jahre-Siedlungen weiterhin Unmengen an Energie durch schlecht gedämmte Wände entweichen. Der viel größere Hebel liegt in der Sanierung des gewaltigen Bestands an Gebäuden. Wer die oberste Geschossdecke seines Altbaus dämmt oder die Fenster austauscht, wer sich um die Fassade kümmert oder die Gasheizung durch eine Wärmepumpe ersetzt, kann damit viel einfacher CO2 einsparen als durch einen Abriss und Neubau. „Ein Großteil der Energie von Häusern steckt in ihrer Substanz“, sagt Becker. „Die müssen wir erhalten und besser nutzen, anstatt zusätzliches Material und Energie zu verbrauchen.“

Beispiele dafür gibt es durchaus. Das Co-Working- und Veranstaltungszentrum Core in Oldenburg etwa entstand im früheren Kaufhaus an der Heiligengeiststraße. Statt das Gebäude plattzumachen, wurde es entkernt und neugestaltet.

Auch Nicole Becker selbst geht diesen Weg. Sie und ihr Mann sanieren gerade ein Haus aus den 60er-Jahren in zentraler Lage in Oldenburg. Einschränkungen bei der Wohnraumgestaltung seien dabei nicht nötig gewesen. „Ich befasse mich so viel mit Materialkreisläufen und Ressourcenschonung, dass ich mit einem Neubau meine Probleme gehabt hätte“, sagt die Professorin.

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