Brüssel - Die Brüsseler EU-Kommission nimmt erneut die deutschen Autobauer ins Visier. Am Dienstag eröffnete die Behörde ein Prüfverfahren, um weiteren Vorwürfen nachzugehen. Dahinter dürfte sich ein Sumpf aus Absprachen, Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht und Kundentäuschung verbergen.

Der Verdacht wiegt schwer. „Die Kommission will eingehender untersuchen, ob BMW, Daimler und VW vereinbart haben, bei der Entwicklung und Einführung wichtiger Technologien zur Verringerung von Schadstoff-Emissionen von Benzin- und Diesel-Pkw nicht miteinander zu konkurrieren“, teilte die für Wettbewerbsverstöße zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager mit. Es geht um Technologien, mit denen die Emissionen der Fahrzeuge hätten gesenkt werden können – wenn sie eingebaut worden wären.

Wurden sie aber offenbar nicht. Mit gravierenden Auswirkungen, wie Vestager weiter ausführt: „Falls der Verdacht zutreffen sollte, hätten die Hersteller den Verbrauchern die Möglichkeit vorenthalten, umweltfreundliche Autos zu kaufen, obwohl die entsprechenden Technologien zur Verfügung standen.“

Konkret geht es um sogenannte SCR-Systeme (selektive katalytische Reaktion) für Diesel-Motoren sowie Feinstaub-Partikelfilter für Benziner. Der Vorwurf trifft neben BMW, Daimler und Volkswagen auch deren Töchter Audi und Porsche – die Crème de la Crème des deutschen Automobilbaus. Bisher handelt es sich lediglich um eine Prüfung, ob und wenn ja, was an den Vorwürfen dran ist.

Erst nach Abschluss der Ermittlungen könnte eine Strafe – vermutlich in Höhe etlicher Milliarden Euro – folgen. Fest steht allerdings: Brüssel hat hochkarätige Zeugen. Denn bereits im Juli 2016 hatten Volkswagen und Daimler sich bei der Kommission gemeldet und Absprachen gebeichtet.


Noch ist unklar, wer zuerst seine Bücher öffnete – es könnte entscheidend für die Frage sein, wer in den Genuss einer Kronzeugenregelung kommt, mit einer spürbar geringeren Geldbuße.

Bereits im Herbst 2017 hatte der „Spiegel“ von geheimen Dokumenten berichtet, denen zufolge es zwischen rund 200 leitenden Mitarbeitern des sogenannten „Fünfer-Kreises“ etwa 1000 konspirative Treffen am Rande großer Messen gegeben haben soll. Fast 20 Jahre lang hätten die Fachleute der Konzerne dreist in offiziellen „AKs“ (Arbeitskreisen) zu den Themen Sitzanlagen, Luftfederung, Benzin- und Dieselmotoren getagt. Dieser elitäre Club sorgte nach den Recherchen auch dafür, dass die Diesel-Antriebe nicht so gut gereinigt wurden wie das technisch möglich gewesen wäre. Ein Beispiel: Man stimmte sich darüber ab, dass keiner der fünf in seine Autos allzu große AdBlue-Tanks einbaute, in denen ein Harnstoffgemisch Stickoxide in die harmlosen Bestandteile Wasser und Stickstoff aufspaltet. Große Tanks wären teurer gewesen, man verständigte sich auf kleinere, die nachgefüllt werden müssen.

Seit Anfang 2018 steht darüber hinaus der Vorwurf im Raum, dass die Hersteller sich auch über den Umfang der Abgasreinigung bei Benzin-Antrieben einigten.