Was der Emder Chef des Jobcenters zu den geplanten Hartz IV-Reformen sagt.

Herr Leiß, die Ampel-Koalition will die Hartz IV-Gesetzgebung auf reformieren. Kern ist – soweit man hört: Es soll mehr gefördert und weniger sanktioniert werden. Welches Gewicht haben im Emder Jobcenter Sanktionen bislang?

Bernd LeißNa ja, die Frage impliziert, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen einer Förderung und einer Sanktion gibt. Diesen direkten Zusammenhang sehe ich nicht. Ziel unserer Arbeit ist, gemeinsam mit den Kunden Strategien zu entwickeln, die zur Beendigung der Arbeitslosigkeit und dem Bezug von Sozialleistungen führen. Eine Förderung kann ein sehr gutes Mittel zum Erreichen eben dieses Ziels sein. Die Menschen müssen von der Sinnhaftigkeit der Förderung aber selbst überzeugt sein. Mit Druck erreicht man hier gar nichts. Insofern sind Sanktionen bei uns im Haus faktisch auch kein Thema.

Die Reform

Wer Bürgergeld statt wie bislang Hartz IV bezieht, der soll unter anderem zwei Jahre lang sein Vermögen nicht antasten müssen, und die Wohnung wird in dieser Zeit vom Jobcenter bezahlt – ohne weitere Prüfung.

Im Jobcenter gilt bislang als oberste Priorität die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen in einen Job. Nach dem Willen der Ampelkoalition soll der Arbeitslose künftig selber entscheiden, ob eine Aus- oder Fortbildung besser für ihn ist.

Bei den Sanktionen des Jobcenters ist der größte Einschnitt geplant: auf der einen Seite gilt weiterhin die „Mitwirkungspflicht“, andererseits sollen viele Sanktionen wegfallen. Das ist ein massives Umdenken beim Prinzip „Fördern und Fordern“.

Wie viele „Strafen“ wurden denn in Emden zuletzt ausgesprochen – und vor allem warum?

Vollständige Jahresdaten liegen bis 2020 vor. Hier ist festzustellen, dass seit 2013 im Jahresdurchschnitt immer mehr als 80 Prozent der Sanktionen auf sogenannten Meldeversäumnisse zurückzuführen sind. Eine Sanktion wegen eines Meldeversäumnisses wird ausgesprochen, wenn ein Kunde einen Termin trotz schriftlicher Einladung nicht wahrgenommen hat und hierfür kein wichtiger Grund genannt wurde.

Aufgrund der Corona-bedingten Kontaktbeschränkungen wurden in 2020 erheblich weniger persönliche Beratungsgespräche geführt. In der Folge ist auch die Zahl Sanktionen deutlich gesunken. Im gesamten Kalenderjahr 2020 wurden nur 131 neue Sanktionen ausgesprochen. Zum Vergleich: Im Jahresdurchschnitt wurden im Jobcenter Emden an 3909 Kunden Leistungen ausgezahlt. In der Relation wird deutlich, dass Sanktionen tatsächlich nur einen sehr kleinen Kreis der Leistungsberechtigten betrafen.

Aber müssen einige Menschen nicht stärker motiviert werden, notfalls eben auch mit Strafen?

Motivation schafft man nicht mit Strafen, sondern dadurch, dass man Perspektiven aufzeigt und gemeinsam Wege sucht, die Hilfebedürftigkeit zu beenden. Das ist nicht selten ein längerer und manchmal auch beschwerlicher Weg. Dann braucht es auch einen langen Atem. Das gilt sowohl für die Kunden, wie auch für die Beratungsfachkräfte, die dabei unterstützen. Insofern ist der Ansatz, auch künftig passgenaue Förderinstrumente anzubieten, aus meiner Sicht genau der richtige Weg.

Aber es gibt eben auch die Möglichkeit von Strafen.

Sofern Bezieher von Arbeitslosengeld II die Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung der Hilfebedürftigkeit ohne wichtigen Grund nicht nutzen, tritt eine Sanktion ein. Diese Rechtsfolge ist im Sozialgesetzbuch II so festgelegt. Eine solche Entscheidung wird nie leichtfertig getroffen, sondern immer der Einzelfall betrachtet. Ich denke die Fallzahlen in Emden können hier auch als Beleg dienen. Im Ergebnis geht es nicht um die Steigerung einer Motivation, sondern um den Schutz der Solidargemeinschaft, die die Leistungen mit Steuermitteln finanziert.

Womit hilft man Langzeitarbeitslosen in Emden am meisten?

Das ist mit wenigen Worten kaum zu beantworten, da die Ausgangslagen sehr unterschiedlich sind. Oftmals reicht eben nicht ein Hebel, der nur angesetzt werden muss, sondern es braucht eine längere Strategie. Dann sind unterschiedliche Netzwerkpartner nötig, die bei der Umsetzung einer solchen Strategie helfen können. Eine gute Arbeitsmarktlage ist natürlich hilfreich, alleine aber auch kein Garant, dass langzeitarbeitslose Menschen schnell wieder Arbeit finden. Der Schlüssel zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit ist und bleibt eine gute berufliche Qualifizierung. Insofern versuchen wir auch hier anzusetzen und zeigen, wo es nötig und möglich ist, entsprechende Optionen auf und arbeiten mit den Kunden gemeinsam an der Umsetzung. Manchmal braucht es aber auch andere Wege. Dann hilft das breite Förderinstrumentarium, das wir zur Verfügung haben.

Jens Voitel
Jens Voitel Emder Zeitung