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Chats In Ostfriesland Das beschäftigt Jugendliche in der Krise wirklich

Emden - Eine Viertelstunde vor der vereinbarten Zeit sind Max und Tim* online. Ihnen ist langweilig, wie so oft in den vergangenen Wochen. Statt wie sonst im Kinder- und Jugendhaus im Emder Stadtteil Barenburg sind die beiden zu Hause am Handy oder Rechner. Nachdem das Jugendzentrum wegen der Corona-Pandemie schließen musste, sind die Sozialarbeiter auf eine Chat-Plattform ausgewichen. Max (18) hat den Chat des Jugendzentrums rund um die Uhr auf.

Auch Tim (9) ist oft online. Er vermisst seine Freunde, nicht alle haben ein Handy. „Wir mussten von der Schule nach Hause gehen und ich wusste gar nicht, wie oder wann ich meine Freunde wiedersehen kann“, schreibt der Grundschüler. Wie ihm geht es gerade vielen Kindern und Jugendlichen. Sie fühlen sich mit ihren Sorgen und Meinungen aber nicht richtig wahrgenommen, wie eine aktuelle Studie unter 6000 Jugendlichen in Deutschland zeigt. „Es wird viel gesagt und dann beschlossen, allerdings wird nicht genau darüber nachgedacht, wie die Jugendlichen sich fühlen“, schreibt Hannah (19)*. Oft sei man mit den Entscheidungen nicht einverstanden, könne aber nicht mitbestimmen. Durch die Unstimmigkeiten entstünden auch in der Schule oder im Freundeskreis viele Konflikte.

Jugendliche sind nicht nur Schüler

Die Studienteilnehmer üben vor allem Kritik, weil sie sich in den Debatten über die Corona-Krise auf ihre Rolle als Schüler reduziert fühlen. Das sieht auch Franziska (17)* so: „Meiner Meinung nach sind wir in den Augen der Politiker teilweise (...) einfach nur Schüler.“ Oft werde übersehen, wie sich die Krise auf die Freizeit der Jugendlichen auswirke. Durch die Unsicherheit, das hohe Pensum an Schulaufgaben und weil viele Vereine oder Angebote geschlossen haben, werde es schwieriger abzuschalten. „Man denkt praktisch rund um die Uhr an die Aufgaben, die noch zu erledigen sind“, schreibt Hannah.

Austausch im chat

Einen Sorgenchat für Kinder und Jugendliche hat die Stadt Emden anlässlich der Corona-Krise initiiert. Dieser wurde von verschiedenen Einrichtungen betreut. Seit Ostern sind laut Stadt nur fünf Chatanfragen eingegangen. Die meisten Jugendlichen stehen über andere Plattformen direkt mit den jeweiligen Einrichtungen in Kontakt. Deshalb wurde der zentrale „Sorgenchat“ eingestellt. Er bleibt allerdings erreichbar, Kinder und Jugendliche können dort bei Fragen oder Gesprächsbedarf ihren Kontakt hinterlassen. Die Sozialarbeiter melden sich dann zurück.

Hinzu kommt die Isolation. Die Angst vor dem Virus sei zwar da, schreibt Tim. „Aber ich habe auch Angst, dass ich immer mehr alleine bin.“ Mit den Freunden zu schreiben oder zu telefonieren, könne kein Treffen ersetzen. Auch die Studie zeigt, dass Jugendliche den Kontakt zu Freunden weniger digital aufrechterhalten, sondern ihn auf diese Weise lediglich organisieren wollen.

Weil er seine Freunde gerade nicht treffen kann, hat Tim in den vergangenen Wochen viele Steine bemalt. Sie sollen in Corona-Zeiten Zusammenhalt symbolisieren und anderen Menschen Mut machen. Wie überall in Deutschland wachsen auch in Ostfriesland Schlangen aus bemalten Steinen an Wegrändern, vor Schulen oder in Parks. Wenn Tims Mutter nicht arbeiten musste, waren sie gemeinsam Radfahren. Auch Max zieht es zum Ausgleich nach draußen. Er hat viel im Garten gearbeitet.

Die Krise stresst die Menschen

Eigentlich ist Tim erleichtert, dass er wieder zur Schule gehen darf. Wären da nicht die strengen Vorgaben. „In der Schule ist es ganz schön anstrengend (...) die Lehrer motzen nur rum, wenn man einen Schritt zu weit geht“, schreibt er. Tim glaubt, dass die Lehrer selbst mit den neuen Vorgaben und der unklaren Situation überfordert sind. Franziska vermutet, dass sie Angst vor einer Infektion haben könnten. Und Hannah sieht den Alltag trotz der aktuellen Lockerungen immer noch in weiter Ferne. „Ich sehe es nicht als neue Normalität an“, schreibt sie, „denn Normalität ist es nicht. Viele sind überfordert.“

Die Zukunft ist ungewiss

Sie selbst beschäftigt vor allem, dass nicht abzusehen ist, wie ihre Ausbildung weiterläuft. Zurzeit kann Hannah wegen der Krise kaum praktische Erfahrungen sammeln. Zudem weiß sie nicht, ob sie und ihre Mitschüler den verpassten Stoff an der Berufsschule gut aufholen können oder vielleicht sogar ein Halbjahr wiederholen müssen. „Man selbst hat einfach Angst, seinem Traumberuf nicht gerecht zu werden“, schreibt sie. Auch Franziska belastet die Unsicherheit. Sie befürchtet, dass die Vorbereitung aufs Abitur unter der Krise leidet. Es sei teilweise anspruchsvoll, sich den Stoff zu Hause beizubringen. Manchmal fällt es ihr schwer, abzuschalten. Neben der eigenen Zukunft macht sie sich auch Sorgen um Familienmitglieder, die zur Risikogruppe zählen. Auch die wirtschaftliche Lage beschäftigt sie.

Am meisten wünschen sich die Jugendlichen ihren Alltag zurück. „Ich hoffe, dass alles bald wieder ganz normal ist und wir alle wieder zusammen sind“, schreibt Tim. Da haben die Sozialarbeiter vom Kinder- und Jugendhaus Barenburg eine gute Nachricht zu verkünden: Ab sofort kann das Jugendzentrum unter Auflagen wieder öffnen.

*Die Namen wurden von der Redaktion geändert

Svenja Fleig
Svenja Fleig Thementeam Wirtschaft
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