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Tour-de-France-Sieg 1997 Als „Ulle“ die Deutschen ins Rollen brachte

Paris - Vorsicht, wenn von einem Sommermärchen die Rede ist: Erstens sind hinterher alle schlauer, zweitens konnte es jeder kommen sehen, und drittens hatte man sich ja damals gar nicht wirklich gefreut...

Mittig in der deutschen Sportglorie, zwischen dem Wimbledon-Wunder von 1985 und der Fußball-WM 2006 hierzulande, liegt die Tour de France 1997. Jan Ullrich verwandelte damals Autofahrer-Deutschland in eine Radsport-Nation. Vor 25 Jahren kaufte sich jedermann ein Rennrad und diskutierte die Fragen, ob zwei Kettenblätter vorne genügen, und ob es hinten neun oder zehn oder elf Ritzel sein müssen.

Zur Person

Jan Ullrich, geboren 1973 in Rostock, zählte zu den allergrößten Talenten im Weltradsport. Als erster und bisher einziger Deutscher gewann er im Jahr 1997 die Tour de France. Darüber hinaus war er fünfmal Zweiter und einmal Vierter der Tour, zudem Amateurweltmeister im Straßenrennen, zweimal Weltmeister im Einzelzeitfahren sowie Olympiasieger 2000 im Straßenrennen.

Wegen seiner Verwicklung in den Doping-Skandal um den spanischen Arzt Fuentes wurde er von der Tour 2006 ausgeschlossen und sein Vertrag fristlos gekündigt. 2012 sprach ihn der Internationale Sportgerichtshof (CAS) schuldig und annullierte alle Erfolge seit dem 1. Mai 2005. Im Februar 2007 erklärte Ullrich sein Karriereende.

Vom Erfolg geblendet

Der 23-jährige Ullrich aus Rostock, der in der badischen Gemeinde Merdingen am sonnenverwöhnten Kaiserstuhl Wahlheimat und Zufluchtsort fand, sorgte mit seinem sensationellen Tour-Sieg für einen Volksrausch in Telekom-Magenta, in den nicht nur die Zuschauer gerieten, sondern auch die Berichterstatter in den Medien. Nur 60 Kilometer von Merdingen entfernt, ließ sich 1997 auch ein junger Sportredakteur des Offenburger Tageblattes und Autor dieses Beitrages, naiv das Sommermärchen erzählen.

Zur Erinnerung: Die Deutsche Telekom hatte als ehemaliges Staatsunternehmen Anfang der 1990er-Jahre – nun börsennotiert – parallel zur Bewerbung der T-Aktie ihre Liebe zum Radsport entdeckt und deshalb massiv in ein eigenes Rad-Team investiert.

Mit sichtbarem Erfolg: Nach dem Toursieg 1996 des dänischen Routiniers Bjarne Riis schwang sich im Folgejahr dessen jugendlicher Edelhelfer Jan Ullrich aus dem Sattel und stieg nicht nur die Pyrenäen hinauf, sondern auch in die Herzen der Fans.

Wer sich an die Davis-Cup-Schlacht von Hartford/Connecticut im Tennis mit Becker gegen McEnroe 1987 erinnert, kann den Überschwang der Gefühle ermessen, den zehn Jahre später Ullrichs Rad-Duelle mit dem Franzosen Richard Virenque und dem Italiener Marco Pantani auslösten. Die Deutschen liebten ihren „Ulle“ und auch die „Telekom-Nationalmannschaft“ mit Zabel, Aldag und Bölts. Die Republik war in Magenta koloriert.

Auf der 10. Etappe nach Arcalis im Pyrenäen-Staat Andorra hatte Ullrich von der Teamleitung „freie Hand“ bekommen. Zu Beginn des Schlussanstiegs attackierte er aus der Spitzengruppe mit allen Favoriten, von denen keiner folgen konnte. Der Deutsche gewann die Etappe mit 1:08 Minuten Vorsprung vor Pantani und Virenque und durfte sich das Gelbe Trikot überstreifen. „Voilà Le Patron“ (Hier kommt der Chef) titelte respektvoll die Sport-Tageszeitung „L’Équipe“, „Ullrich der Tour-Gigant“ jubelte die „Bild“.

Der Taumel östlich des Rheins wurde immer größer, je näher der Zielort Paris rückte. Die 17. und 18. Etappe vom schweizerischen Freiburg über Colmar nach Montbéliard sorgte für einen friedlichen Einfall der Deutschen ins Elsass, die die Passstraße hinauf zum 1424 Meter hohen Gran Ballon bevölkerten und bemalten, um ihrem neuen Superstar einen Triumphzug zu bescheren. Auf dieser Etappe fiel der legendäre Spruch „Quäl dich, du Sau”, mit dem Udo Bölts seinen Kapitän dazu brachte, letzte Kraftreserven zu mobilisieren.

Und die Medien halfen bei der Märchenerzählung: „Ein Jahrhunderttalent des Radsports“, stellte Jürgen Emig für die ARD fest. Dass „Das Erste“ darauf den umstrittenen, weil distanzlosen Exklusiv-Vertrag mit Ullrich abschloss, und die „Eins“ auf dem Telekom-Trikot prangte, passte ins Fernsehbild der frühen 2000er Jahre.

Kultur des Schweigens

Dass bereits 1998 das Virenque-Team Festina nach einer Doping-Razzia der französische Polizei während der Tour ausgeschlossen wurde, wurde von vielen ausgeblendet, und es passte zur „Òmerta“, das Schweigegelübde im Radsport. Die Tour 1997 war ein Wettrüsten, sagten später Udo Bölts und Rolf Aldag, die Teil dieses Doping-Systems waren und erst zehn Jahre danach reinen Tisch machten – im Gegensatz zu Jan Ullrich.

Oliver Schulz
Oliver Schulz Redaktion Kultur/Medien (Ltg.)
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