Bremen - Er ist so etwas wie ein Vorzeige-Grüner. Auf jeden Fall steht er nicht im Verdacht, dogmatisch oder einseitig zu sein. Eher ein Vordenker mit dem Hang zum Realismus. Auf jeden Fall wirtschaftsorientiert genug, um von der Bremer Handelskammer als Redner zu deren Wirtschaftsempfang eingeladen zu werden.

Harald Emigholz hieß in der gut gefüllten, historischen Getreideumschlaghalle von Kellogg’s auf der künftigen „Überseeinsel“ nicht nur den bis Ende des Monats amtierenden schleswig-holsteinischen Minister für Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung willkommen, sondern auch die geballte Bremer Prominenz: von den Bürgermeistern Carsten Sieling (SPD) und Karoline Linnert über Bürgerschaftspräsident Christian Weber bis hin zu mehreren Bremer Senatoren sowie Bürgermeistern und Oberbürgermeistern der Metropolregion Nordwest.

Das „Kellogg’s“-Gelände steht fast schon exemplarisch für das Thema Habecks: „Wirtschaft und Wandel: Wie soll der Norden in die Zukunft gehen?“ Habeck stellte zunächst sein Thema selbst infrage: „Wirtschaft und Wandel ist eine ,Binse‘ – Wirtschaft ist immer im Wandel.“ Auf den Märkten müssten „geregelte Verfahren“ gelten, auf die sich die Wirtschaft verlassen können muss.

Der Politik schrieb er gleich eine ganze Reihe von Forderungen ins Stammbuch. Die erste: Es gehe um das richtige Maß von Freiheit und Regulation. Und eben Verlässlichkeit. Beispiel Bremerhaven. Von dessen Erfindungsreichtum für einen wirtschaftlichen Aufschwung sei er beeindruckt, sagte Habeck. Bremerhaven hat verstärkt auf Windenergie gesetzt. Nun habe die Bundesregierung zwar ehrgeizige Ziele für den Ausbau der Windenergie, wolle sie aber erst verfolgen, wenn die drei Stromtrassen für den Transport des Stroms fertig sind. „Wie sollen Unternehmer da investieren?“ Es fehle an Entschiedenheit und Verlässlichkeit, so Habeck. „Wir verlieren jeden Tag mehr eine gestaltungswillige Politik.“ Was bedeutet: Es wird nur der aktuelle Stand verwaltet, die gute Konjunktur, die Mängel der Infrastruktur. „Wir müssen die Lethargie aufbrechen. Wir brauchen dringend politische Klarheit“, so sein Appell.

Was auch heißt: Läuft die Wirtschaft gut (so wie jetzt noch), sind Vorbereitungen für die Zukunft zu treffen. Dafür sind Entscheidungen vonnöten. „Wie wollen wir als Gesellschaft sein? Was sind die Spielregeln?“

Der studierte Philosoph Habeck wandte sich ganz handfest gegen eine rechte und linke Nationalökonomie, gegen die Schamlosigkeit internationaler Konzerne, die irgendwann gar keine Steuern mehr zahlten. „Die soziale Marktwirtschaft muss eine Renaissance erleben – unter neuen Bedingungen.“

Er plädierte für Fairness in den Handelsbeziehungen – als „Investition in die Zukunft“, für Klimaschutz als „Rettung der Demokratie“, für eine „digitale Ethik“ und – das stand über allem – gegen ein Lagerdenken, politisch, wirtschaftlich, ökologisch. Also für einen grundsätzlichen Konsens, bevor es in einen Diskurs über die Wege geht. Grundsätzlichen Konsens gab es zumindest schon mit den Zuhörern. Was der stürmische und langanhaltende Applaus für Habeck zeigte.