Wilnsdorf/Barsinghausen - Revierförster Gerhard Lobe steht in einem Waldstück im Siegerland neben kleinen Lärchen. Vor zehn Jahren wäre er hier umgeben gewesen von Fichten, Fichten und nochmals Fichten. Dann kam Orkan „Kyrill“, wütete in Europa vor allem in der Nacht vom 18. auf den 19. Januar 2007 mit Geschwindigkeiten bis 232 km/h. 47 Menschen starben, viele Wälder wurden verwüstet. Für die Waldbesitzer vor allem im Sauerland und Siegerland war es eine Katastrophe – doch für den Wald könnte „Kyrill“ langfristig sogar viel Gutes gebracht haben.
Sechs Tote in NRW
Nordrhein-Westfalen war damals die am stärksten betroffene Region. Aus der Luft sahen viele Wälder so aus, als hätten Riesen Mikadostäbchen geworfen. Orte waren von der Außenwelt abgeschnitten, die Wälder monatelang nicht begehbar. Sechs Menschen starben allein in NRW. Hierzulande fielen dem Naturereignis rund 75 Millionen Bäume zum Opfer, fast die Hälfte aller Schäden verzeichnete NRW. Erstmals in der Geschichte der Deutschen Bahn stand der Schienenverkehr fast völlig still, Tausende Reisende stranden. Am Berliner Hauptbahnhof, der acht Monate zuvor eröffnet wurde, brachte der Wintersturm einen tonnenschweren Träger zum Einsturz.
Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft schätzt den in Deutschland versicherten Schaden auf 2,4 Milliarden Euro. Kein anderer Sturm in den 30 Jahren zuvor habe mehr Zerstörung verursacht.
Abschied von der Fichte
„Über Nacht wurde damals die Arbeit von Generationen zunichte gemacht“, erinnert sich Guido Schwichtenberg von der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldeigentümer (AGDW). Doch „Kyrill“ war für die Waldbesitzer auch eine Initialzündung: Viele machten sich Gedanken, wie sie sich auf den Klimawandel mit höheren Temperaturen und extremeren Wetterereignissen einstellen konnten. Für den Wald sei „Kyrill“ letztlich sogar ein Glücksfall gewesen, findet Diethard Altrogge, Regionalforstamtsleiter in Siegen-Wittgenstein.
Denn in den letzten zehn Jahren hat der Wald an vielen Stellen zwischen dem Ostthüringer Schiefergebirge und dem Sauerland ein neues Gesicht bekommen. Teilweise haben die Besitzer gezielt wiederaufgeforstet, teilweise haben sie auch der Natur ihren Lauf gelassen. Fast überall gibt es heute mehr Baumarten und mehr Mischwälder mit Bäumen, die tiefe Wurzeln schlagen – und dadurch nicht so leicht umknicken.
Im thüringischen Staatsforst sind aus reinen Nadelholzbeständen Mischwälder mit 20 Prozent Laubbäumen geworden, sagt Horst Sproßmann von Thüringen Forst: „Baumarten wie Eiche, Buche oder Weißtanne können trocken-heißen Sommern und Orkanen besser widerstehen.“ In NRW standen auf den von „Kyrill“ zerstörten Flächen früher zu sieben Prozent Laubbäume. Zehn Jahre danach sind es laut Michael Blaschke vom Landesbetrieb Wald und Holz 47 Prozent.
Ob die Entwicklung in die richtige Richtung geht, werde man wohl erst in 100 Jahren beurteilen können, meint Blaschke. Schließlich wisse niemand genau, wie stark sich die Erde erwärmt. Wirtschaftlich ist der Abschied von der Fichte für die Waldbauern nicht unproblematisch. Zwar suchen Sägewerke nach Vermarktungsmöglichkeiten von Laubholz. Geld aber verdienen sie derzeit mit Nadelholz. „De facto benötigt die Wirtschaft rund 80 bis 90 Prozent Nadelholz“, sagt Lars Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Säge- und Holzindustrie.