Ganderkesee - Jürgen Aschemoor ist „ein kleiner Kämpfer“. Das sagt er über sich selbst, und das merkt auch, wer mit ihm über sein Leben spricht. Knapp 23 Jahre ist es her, am 2. Dezember 1999, dass er „von einem Schritt auf den anderen“ in der Delmenhorster Fußgängerzone zusammenbrach. Schnell stand die Diagnose: Schlaganfall. Seitdem ist Aschemoor linksseitig gelähmt und nichts mehr wie es vorher war.
Wie ihm ergeht es jährlich rund 270 000 Menschen in Deutschland. Schlaganfälle sind damit nach Angaben der Deutschen Schlaganfall-Hilfe „die häufigste Ursache für Behinderungen im Erwachsenenalter“. Menschen wie Aschemoor können mit ihrer Einstellung anderen Betroffenen dabei helfen, mit den Folgen klarzukommen. „Ich will vieles wieder machen, wie es einmal war“, sagt der heute 80-Jährige bei einem Gespräch in Ganderkesee anlässlich des Welt-Schlaganfalltags am Samstag, 29. Oktober. Der Stuhrer besucht hier regelmäßig die Treffen der Schlaganfall-Selbsthilfegruppe.
Lebensqualität zurück
Nach seinem Schlaganfall war Aschemoor zwei Wochen im Krankenhaus, danach in der Reha in Lingen. Diese Zeit nennt er heute seine „Depressionsphase“. Ein halbes Jahr saß er im Rollstuhl, konnte sich kaum fortbewegen – „da wollte ich raus, dann fing das Kämpfen an“. Aschemoor durchlief Therapien, ein halbes Jahr brauchte er, um wieder Laufen zu lernen. Inzwischen nutzt er nur noch einen Gehstock – „zur Sicherheit“. Auch einhändig zu schwimmen habe er gelernt.
Als begeisterter Autofahrer wollte der gelernte Diplom-Ingenieur unbedingt wieder ans Steuer. Also baute sein Sohn ihm ein Auto mit Automatikantrieb so um, dass er es auch einhändig bedienen kann. Dafür musste Aschemoor 2004 seinen Führerschein erneut machen. Doch der Aufwand lohne sich, sagt er: „Das gibt Lebensqualität zurück, ich muss mich seitdem nicht immer von meiner Frau fahren lassen.“ Aufgeben wollte Aschemoor auch nicht seinen Posten als Präsident eines Rollerclubs. Dessen Touren begleitet er nun mit dem Auto – „das macht Spaß, dass ich wieder dabei bin“.
Anderen Mut machen
Woher nimmt Jürgen Aschemoor diese Willenskraft? Er zuckt die Achseln, sagt: „Ich bin so veranlagt.“ Seine Erfahrungen hat der Rentner in dem Buch „Leben nach dem Schlaganfall“ niedergeschrieben. Zudem betreibt er einen Blog und steht angehenden Ärzten an der Uni als „lebendes Beispiel“ für die Auswirkungen eines Schlaganfalls zur Verfügung. Für sein Engagement hat ihn die Deutsche Schlaganfall-Hilfe jetzt für den Motivationspreis 2022 nominiert.
Hemmungen und Mitleid
Viele Betroffene tun sich nach einem Schlaganfall allerdings deutlich schwerer. „Andere in der Reha haben sich völlig aufgegeben“, erinnert sich Aschemoor. In Selbsthilfegruppen wie der in Ganderkesee versuche er darum, zu helfen: „Ich mache Mut, dass es wieder so werden kann wie bei mir.“ Bei den Treffen bildeten sich auch Freundschaften. Das gemeinsame Schicksal verbindet. Auch Jochen Busch, der 2006 einen Schlaganfall hatte, will andere in der Gruppe unterstützen. Seine Einstellung beschreibt er so: „Das Leben hat mir noch was zu bieten, ich denke positiv. An schlechten Tagen hilft mir Musik aus einer guten Zeit, als alles noch in Ordnung war.“
Die Selbsthilfegruppe in Ganderkesee sei wichtig für den Austausch, „um aus der Isolation zu kommen“, bestätigt auch Leiterin Heidi Ruge. Manche Teilnehmer, wie Aschemoor, kämen dafür sogar von außerhalb, wenn es vor Ort kein entsprechendes Angebot gebe. In Wildeshausen und Harpstedt hätten sich Selbsthilfegruppen etwa zuletzt infolge der Corona-Pandemie aufgelöst. Dass Schlaganfall-Betroffene eher isoliert sind, zeigt auch ein verunsicherter Umgang mit ihnen im Alltag. „Viele können sich nicht hineinversetzen oder trauen sich nicht zu helfen, etwa an der Supermarktkasse, manche haben Hemmungen“, sagt Aschemoor. Er macht eine kurze Pause. „Ich will mir aber auch nicht immer helfen lassen.“ An sein Leben vor dem Schlaganfall denkt er manchmal heute noch: „Ich sehe ja, wie andere noch alles können. ‚Das wäre schön, wenn ich das alles noch könnte‘, denke ich dann.“ Mit Mitleidsbekundungen wie „Ach guck mal, der arme Kerl“ hat er aber gelernt umzugehen: „Da steh ich drüber.“ Er ist eben ein kleiner Kämpfer.