Oldenburg/Delmenhorst - Es ist der Stoff, aus dem bereits einige TV-Formate entstanden sind: die Mordserie des Krankenpflegers Niels Högel, der im Klinikum Oldenburg und im Krankenhaus Delmenhorst zahlreiche Menschen tötete, der als größter Serienmörder in die Geschichte der Nachkriegszeit eingeht und der 2019 für 85 Morde zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden ist.

RTL+ brachte die True-Crime-Doku „Der Todespfleger“, schaltete Högel dazu und bot ihm damit eine Plattform – zum Entsetzen der Polizei und der Angehörigen der Opfer. Sky dokumentierte den Fall in der Serie „Schwarzer Schatten – Serienmord im Krankenhaus“, und die ARD zeigte die Doku „Schwarzer Schatten: Der Serienmörder Niels Högel“. Nun läuft auf VOX am Mittwoch, 7. September, zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr die Free-TV-Premiere von „Das weiße Schweigen“ – mit einer überragenden Julia Jentsch in der Hauptrolle als Krankenpflegerin Clara und Kostja Ullmann als narzisstischer Krankenpfleger Rico auf der Suche nach Aufmerksamkeit.

Ein weiteres Format also, das sich mit dem Ermittlungsskandal beschäftigt. Dieses Mal ist es ein Spielfilm, ein Psychothriller. Aber braucht unsere Gesellschaft Fiktion – auch mit Blick auf die Angehörigen der Opfer, die vermutlich jede Berichterstattung, jede Dokumentation oder Serie über Niels Högel als Belastung empfinden – um sich mit einer beispiellosen Mordserie auseinanderzusetzen? „Das ist tatsächlich ein Dilemma“, räumt Karsten Krogmann ein, der als Chefreporter unserer Zeitung den Fall Högel über Jahre medial begleitete und inzwischen Pressechef beim Weißen Ring ist, eine der größten Hilfsorganisationen für Kriminalitätsopfer. Dennoch steht für den 53-Jährigen fest: „Ein künstlerischer Umgang mit dem Thema ist legitim, richtig und wichtig.“

Die Fakten liegen auf dem Tisch: Ein Krankenpfleger, der viele Menschen tötete, ein System, das versagt hat, Menschen, die weggeschaut haben – da gebe es aus journalistischer Sicht wenig Spielraum. „Fiktion aber erlaubt eine andere Perspektive und lässt Gedankenspiele zu – wohl wissend um die schwierige Situation der Angehörigen“, erklärt Krogmann. Und genau diese andere Perspektive funktioniert in „Das weiße Schweigen“ durch die Sichtweise der Krankenpflegerin Clara, die die Geschichte erzählt und unbequeme Fragen stellt. Schauspielerin Julia Jentsch gelingt es, die Zuschauer wachzurütteln, darüber nachzudenken, wie man selbst reagiert hätte – wenn der Chef schon beim ersten Gespräch mit einer Kündigung droht, Gedankenspiele eben, die weder richtig noch falsch sind. Was aber unbestreitbar bleibt, ist die Botschaft dieses vielschichtigen Films: Mut zu mehr Zivilcourage.

Katja Lüers
Katja Lüers Reportage-Redaktion